Lichterkette in Wittenberg Lichterkette in Wittenberg: Leuchten außen und innen
Wittenberg - An den Wittenbergern hat es nicht gelegen, dass die Lichterkette zwischen München und Berlin keine vollständige Leuchtspur hinterließ. Rund 250 Menschen hatten sich am Samstagabend auf der Elbbrücke eingefunden – mit Fackeln, Kerzen und Laternen, mit Kind und Kegel und mit Musik. „Donna nobis pacem“ stimmen die Schwestern der Selbitzer Christusbruderschaft an, ein paar Stimmen rechts und links fallen leise mit ein. Die Musik steigt auf in den nachtblauen Himmel über der Elbe und bildet eine sanfte Begleitmelodie zur symbolträchtigen Illumination.
Fünf Bundesländer und 650 Kilometer sollte die Lichterkette von Berlin nach München überbrücken. Doch am Ende war die Beteiligung an der Friedensaktion geringer als erhofft - der Kette fehlten viele Glieder. In München versammelten sich mit etwa 4 000 Menschen deutlich weniger als die avisierten 30 000. In Berlin hatte im Vorfeld für Irritation gesorgt, dass rechte Gruppen sich unter das Organisationskomitee mischten. Zwar fand ein kurzfristiger Austausch der Veranstalter statt, dennoch wurden nur 700 Teilnehmer gezählt - statt 25 000. In Leipzig leuchteten bis zu 200 Kerzen, die Metropole hatte damit weniger Teilnehmer als Wittenberg.
Idee aus Baden-Württemberg
Viele Menschen aus der Lutherstadt hatten erst spät von der Aktion erfahren, die als ein leuchtendes Zeichen gegen Terror, Gewalt und Krieg von dem aus Baden-Württemberg stammenden Veranstalter Horst Fallenbeck initiiert wurde. Via Internet hatte er zu der Friedensaktion aufgerufen, die - so seine Idee - durch fünf Bundesländer von München nach Berlin führen sollte (siehe „Der Kette fehlen...“). Bei der Durchführung setzte er auf zahlreiche Unterstützer vor Ort. Als Marco Glaß sah, dass Wittenberg auf der Route liegt, entschloss er sich spontan zur Unterstützung und übernahm als örtlicher Veranstaltungsleiter die Organisation. Zur Freude von Oberbürgermeister Torsten Zugehör (pl.), der mit Frau und Sohn zur Elbbrücke gekommen war. „Das ist ein großer Schatz für unsere Stadt, dass die Verwaltung nicht benötigt wird für solch eine Aktion, sondern dass das Engagement aus der Bürgerschaft kommt“, bekundete Zugehör. Das sei ein gutes Zeichen - und zudem ein guter Ort.
Der Ort war mit Bedacht gewählt, denn manch einer, der sich auf der Brücke eingefunden hatte, stand nicht zum ersten Mal mit einer Kerze in der Hand hier. Am 1. Advent 1989 hatte es bereits eine Lichterkette gegeben, die von Rügen bis Suhl (ebenfalls mit einigen Lücken) durch die DDR führte.
Damals mit von der Partie war auch Friedrich Schorlemmer, der sich noch gut an dieses „Symbol des Mutes und der Entschlossenheit“ erinnert. 1989 habe er sich freilich nicht vorstellen können, bekennt der Theologe, dass er 26 Jahre später wieder hier stehen würde vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die sich spaltet, „angesichts hierher flüchtender Menschen, die aus Not ihre Heimat verlassen haben“. Auch Gerlinde Bergmann war 1989 schon mit von der Partie. Dass sie sich an diesem Tag wieder engagiert, ist freilich weniger Reminiszenz an Vergangenes, sondern ganz gegenwärtigem Engagement geschuldet. Die Musiklehrerin hält regelmäßig Kontakt zu in Wittenberg lebenden Flüchtlingen aus Syrien, unterstützt sie beim Erlernen der deutschen Sprache und findet, dass dies auch für sie selbst eine schöne und bereichernde Erfahrung ist.
Mit dabei: Saleh und Söhne
Einige derjenigen, denen ihr Engagement gilt, haben sich selbst zur Brücke aufgemacht. Saleh steht mit seinen beiden kleinen Söhnen hier und ist in Begleitung einiger Wittenberger gekommen, die in Pratau auf Initiative der Kirchengemeinde einen regelmäßigen Treffpunkt für Flüchtlinge etabliert haben. In der aktiven Gemeinde engagieren sich Christen und Konfessionslose gemeinsam. „Wichtig ist ja bei dieser tollen Aktion, dass sie nicht nur nach außen leuchtet“, unterstrich Arne Lietz die doppelte Bedeutung der Lichterkette. Das Zusammenstehen für eine gemeinsame Sache zeige allen hier, dass sie nicht alleine seien, so der SPD-Europa-Abgeordnete. „Dieses Leuchten nach innen spielt eine genauso entscheidende Rolle.“
Dass positive Beispiele auch öffentlich gewürdigt werden, findet Annemarie Kandzia ebenfalls wichtig. Die Wittenbergerin war 1989 schon dabei. Ihr aktueller Beweggrund fürs Mitmachen ist klar: „Wo ich stehe, kann heute kein Nazi stehen“, sagt sie mit Nachdruck. Nach einer Dreiviertelstunde löst sich die lange Schlange entlang des Brückengeländers langsam auf. Vereinzelt bleiben Kerzen stehen und leuchten noch eine Weile nach. (mz)