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Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Letzter Halt Thießen

Von Ute Otto 09.12.2012, 18:15

ThieSSEN/MZ. - Samstag, 23.33 Uhr, Bahnhof Thießen. Der Zug aus Dessau fährt ein. Ein Passagier steigt aus. Ob es sich um einen Nachtschwärmer aus Vergnügen oder einen Schichtarbeiter handelt, bleibt Spekulation, der Mann mag sich nicht mit Gesprächen aufhalten lassen in dieser eiskalten Winternacht. Es war der letzte fahrplanmäßige Halt eines Zuges überhaupt in dem Ort auf der Linie Dessau-Berlin. Mit dem Fahrplanwechsel am Sonntag hat die Bahn den Haltepunkt Thießen aus dem Streckenplan gestrichen.

Lothar Jeschke von der Bürgerinitiative Thießen wird auch nach nun vollendeten Tatsachen nicht müde, deutlich zu machen, was viele Thießener von der Schließung ihres Bahnhofes halten. "Das ist eine Missachtung der Bürger im ländlichen Raum", wiederholt er, was er und seine Mitstreiter von 2008 an, als die diesbezüglichen Pläne der Deutschen Bahn AG öffentlich wurden, in Protestbriefen an Nahverkehrsgesellschaft, Bahn, Landesregierung und sogar an die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) formuliert hatten. Immer wieder und doch vergeblich. Es gehe um die Anbindung der Region an die Hauptstadt - das war das Argument der Politik.

Mit Wehmut, sagt Jeschke, habe er vernommen, dass am Freitag die Bahn AG und Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) den ersten Talent-2-Zug auf dieser Regionalbahn-Strecke feierten und auf den Namen "Dessau-Roßlau" tauften.

Laut einer Presseinformation der Nahverkehrsgesellschaft Sachsen-Anhalt (Nasa) verkürzt sich die Fahrzeit von Dessau nach Berlin Hauptbahnhof mit diesen schnelleren Triebwagen um 15 Minuten, die Züge fahren in der Woche sogar im Stundentakt - durch Thießen durch. Von einem "großen Sprung nach vorn" spricht man übrigens auch in Berliner Fahrgastverbänden. Nicht dass die zwei Minuten Halt in Thießen in Sachen Fahrzeit den Kohl fett gemacht hätten: Brandenburg hat sich bislang erfolgreich gegen die Schließung von Haltepunkten auf dieser Strecke gewehrt. Hauptargument der Bahn für die Schließung des Haltepunkts Thießen waren zu hohe Kosten für die Modernisierung der Bahnsteige bei geringer Auslastung. "Das trifft auf jeden Haltepunkt in kleineren Orten zu", so Jeschke. "Damit ist doch klar, dass es eine reine politische Entscheidung war." Alternativen bietet die Bahn selbst den Thießenern nicht. Der Öffentliche Personennahverkehr, sprich Bus, soll es richten. Die Nasa verweist auf die Buslinie 24 beziehungsweise das Rufbusangebot der Roßlauer Firma Müller, mit denen die Thießener am Wochenende wenigstens ins Dessau-Roßlauer Randgebiet kommen. Hanebüchen ist derweil die Fahrplanauskunft auf der Internetseite der Bahn. Um Sonntagmittag nach Roßlau zu gelangen, wird den Thießenern der Rufbus des Neuen Wittenberger Busverkehrs um 11 Uhr ab Hauptstraße nach Jeber-Bergfrieden empfohlen. In Jeber fährt dann der Zug aus Richtung Berlin um 12.34 Uhr, Ankunft in Roßlau 12.44 Uhr. Kosten: 3,40 Euro - nur für die Bahnfahrt. Der Bus muss extra bezahlt werden. Früher war das eine klare Sache von acht Minuten und 2,20 Euro.

Die Fahrzeiten in das rund 24 Kilometer entfernte Wiesenburg liegen zwischen 49 Minuten in der Woche und drei Stunden und 47 Minuten am Sonntagnachmittag: Mit dem Rufbus 16 Uhr nach Coswig, dann geht es nach einer Stunde Wartezeit um 17.26 Uhr weiter nach Roßlau. Dort können sich Passagiere 90 Minuten auf einem tristen Bahnhof die Füße vertreten, die Bahnfahrt nach Wiesenburg dauert dann nur noch 24 Minuten. 9,20 Euro sind auch hier ein Teilpreis nur für die Bahn. Ein Fahrplan zum Vergessen.