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Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Bülziger springt mit großem Satz in die Weltspitze

Von RAINER SCHULTZ 11.08.2011, 16:09

BÜLZIG/MZ. - Für zu klein und schmächtig befunden - so lautet 1969 das ernüchternde Urteil für Frank Wartenberg, das am 29. Mai 1955 in Bülzig geborenen Leichtathletiktalent. All dies geschieht in der 9. Klasse bei der Sichtung für die Kinder- und Jugendsportschule in Halle. Enttäuschung? Resignation? Nicht bei dem willensstarken Frank. Warum nicht einen zweiten Anlauf wagen?

Sportlehrer Otto Eichelbaum von der SG Bülzig, der ein Gespür für Talente besitzt, war schon zeitig auf den kleinen, zähen und bewegungsfreudigen Frank aufmerksam geworden. Bereits mit sechs Jahren war Wartenberg jüngstes Mitglied der kleinen Landsportgemeinschaft. Einen Rohdiamanten, den man behutsam formen muss - so sieht Otto Eichelbaum damals sein Nachwuchstalent. Mit dieser Philosophie soll er Recht behalten. Im zweiten Anlauf klappt es.

Doch auch dieser scheint zunächst fast zu scheitern. Konfirmation und keine Jugendweihe - das passt nicht ins sozialistische Weltbild, das man von einem jungen DDR-Leistungssportler erwartete. Am Ende entscheidet einzig und allein die Leistung und diese spricht für Frank Wartenberg. Harald Werner (späterer Bundestrainer) und Sprungtrainer Siegried Just werden für die nächsten elf Jahre die wichtigsten sportlichen Bezugspersonen beim SC Chemie Halle.

Doch wie schafft man es, einen Traum, den wohl jeder leistungsambitionierte Sportler einmal mit sich trägt, zu verwirklichen - die Teilnahme an Olympischen Spielen. Bereits mit 17 Jahren gelingt es Wartenberg, den DDR-Juniorenmeistertitel zu erringen. Aus dem kleinen Jungen ist inzwischen ein stattlicher Athlet von 1,86 Metern Höhe und 76 Kilo Körpergewicht geworden. Zwei weitere Titel sollen folgen. 18 Jahre ist Wartenberg alt, als er das erste Mal auf dem obersten internationalen Treppchen steht - er wird 1973 Junioreneuropameister.

Wer hätte das gedacht? Das weckt Appetit auf mehr. Warum nicht auch für eine Olympiateilnahme in Montreal kämpfen? Frank sieht seine Chance. Verletzungen werfen ihn indessen immer wieder zurück. Doch die kanadische Metropole 1976 lockt. Mit diesem ehrgeizigen Ziel vor Augen schafft er es, die Konkurrenz im eigenen Land auf Distanz zu halten. Wartenberg meistert die Olympiaqualifikation. Der 29. Juli 1976 wird zum großen Tag für den Bülziger Weitspringer. Sein Heimatort fiebert mit - allen voran Sportlehrer Otto Eichelbaum. Ein mit fast 70 000 Zuschauern ausverkauftes Olympiastadion bildet eine Traumkulisse für das zweistündige Weitsprungfinale.

"Realistisch betrachtet hatte ich anhand der Konkurrenz, deren Leistungen 10 bis 20 cm über meinen lagen, an diesem Tag kaum eine Chance. Doch ein Wettkampf hat seine eigenen Gesetze", lässt Wartenberg noch mal das Geschehen an sich vorüber ziehen. Emotionen 35 Jahre danach - sie lassen sich nicht verbergen. "Es ist für jeden Sportler das größte Ereignis, einmal bei Olympia dabei gewesen zu sein. Davon zehrt man ein Leben lang." Nur knapp und unter Schmerzen springend, gelingen Frank Wartenberg, der an einer Leistenzerrung laboriert, 7,81 m im ersten Versuch. Diese Weite reicht und ebnet ihm den Weg für das Finale. Was dann folgt, ist Spannung pur und erfordert nochmals höchsten Kampfgeist. Mit 8,02 Metern distanziert er den Franzosen Jacques Rousseau um ganze zwei Zentimeter. Und verdrängt diesen auf Rang vier. Damit ist der Triumph, mit dem selbst sein Trainer nicht gerechnet hat, perfekt. Arnie Robinson aus den USA gewinnt mit 8,35 Metern Gold vor Randy Williams (USA) mit 8,11 Metern. Wartenbergs westdeutscher Sportfreund Hans Baumgartner (Olympiazweiter von München 1972) belegt Rang acht.

Gespräche zwischen beiden finden am Rande der Weitsprunggrube statt. Dies kann auch die offizielle DDR-Sportpolitik nicht verhindern. Verhindern lassen sich auch nicht "Amors Pfeile", die Christiane Stoll, 1 500-m-Läuferin in Montreal und spätere Silbermedaillengewinnerin von Moskau 1980, treffen. Beide sind seit 1977 verheiratet und mittlerweile Eltern von drei Töchtern, die nur kurzzeitig in die Fußtapfen ihrer sportlichen Eltern traten. Elf Jahre Leistungssport fordern ihren Tribut. Darin ist sich Frank Wartenberg sicher. Bandscheibe, Sprunggelenk, Achillessehne sind die Schwachstellen. In seiner Erfolgsstatistik aber stehen 25 Länderkämpfe, fünf DDR-Meistertitel, Olympiabronze, Junioreneuropameistertitel und ein Weltcupgewinn.