1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wittenberg
  6. >
  7. Kein Bildnis der Beleidigung: Kein Bildnis der Beleidigung: "Judensau" an Stadtkirche sorgt in Wittenberg für Ärger

Kein Bildnis der Beleidigung Kein Bildnis der Beleidigung: "Judensau" an Stadtkirche sorgt in Wittenberg für Ärger

Von Christian Rath 22.01.2020, 07:00
Das um 1300 entstandene „Judensau“-Relief an der Wittenberger Stadtkirche.
Das um 1300 entstandene „Judensau“-Relief an der Wittenberger Stadtkirche. Imago/EPD

Naumburg/Wittenberg - Die evangelische Stadtkirchengemeinde Wittenberg wird wohl auch in der zweiten Instanz obsiegen. Bei der Verhandlung am Oberlandesgericht (OLG) Naumburg zeichnete sich am Dienstag ab, dass das „Judensau“-Relief nicht beseitigt werden muss, weil sie in ein Gedenkkonzept eingebettet ist.

An der evangelischen Stadtkirche von Wittenberg, an der einst Martin Luther gepredigt hat, ist seit dem 13. Jahrhundert in vier Metern Höhe eine antisemitische Skulptur angebracht. Sie stellt unter anderem Juden dar, die an den Zitzen eines Schweins saugen. Umgangssprachlich wird die Skulptur deshalb als „Judensau“ bezeichnet.

Versöhnung wird schwierig

Schon zu DDR-Zeiten hatte die evangelische Kirchengemeinde entschieden, die Skulptur zu belassen und durch eine künstlerisch gestaltete Bodenplatte zu kommentieren. Später kam noch eine Informationstafel hinzu. Die Schmähplastik wurde inzwischen allerdings auch aufwendig restauriert, so dass sie wieder klar erkennbar ist.

Der 76-jährige Bonner Jude Michael Düllmann klagt gegen die Kirchengemeinde als Eigentümerin der Kirche auf Beseitigung der „beleidigenden“ Skulptur. Düllmann hat evangelische Theologie studiert, ist aber nach einem mehrjährigen Kibbuzbesuch zum Judentum konvertiert.

Es geht Düllmann nicht um Strafe, er hat die Kirchenleute nicht angezeigt. Er hat nur zivilrechtlich auf Beseitigung des Reliefs geklagt. Doch obwohl Zivilrichter entscheiden, ist die Kernfrage strafrechtlich: Liegt hier eine Beleidigung Düllmanns durch die evangelische Kirchengemeinde vor?

Düllmann: „Judensau“-Skulptur gehört in ein Museum

Das Delikt Beleidigung ist von der Rechtsprechung definiert als „Angriff auf die Ehre durch Kundgabe von Missachtung“. Die Beleidigung kann nicht nur durch gesprochene und geschriebene Wörter erfolgen, auch ein Bild oder eine Plastik können einen beleidigenden Inhalt haben.

Schon in erster Instanz, im Mai vorigen Jahres, scheiterte Düllmann beim Landgericht Dessau-Roßlau. Dagegen hat er Berufung eingelegt. Düllmann kam am Dienstag persönlich nach Naumburg und griff die Kirchengemeinde frontal an. „Die Judensau tituliert mich als Saujuden.“ Die Skulptur an der Wand der Kirche sei Teil der Verkündung. „In meinen Augen sind Sie damit antisemitisch“, rief Düllmann. Die „Judensau“-Skulptur gehöre in ein Museum, forderte er. „Dort kann sie aufklärerische Wirkung haben, an der Kirchenwand hat sie jedoch aufhetzende Wirkung“.

Gemeinsam gegen Antisemitismus

Der Wittenberger Pfarrer Johannes Block versuchte, auf Düllmann zuzugehen. Man sitze doch im gleichen Boot und kämpfe gemeinsam gegen den Antisemitismus. „Es gibt niemand, der die Plastik gut findet“, sagte Block. Die Kirchengemeinde, die die Plastik nun mal „geerbt“ habe, habe sich für eine besondere Form der Auseinandersetzung entschieden. Die Skulptur sei eingebettet in eine „Stätte der Mahnung“. Wenn man sie abnehmen würde, wäre das auch eine „Verfälschung der Geschichte“, so Block. Allerdings sei die Gemeinde bereit, die Stätte der Mahnung im Dialog mit jüdischen Verbänden in eine „Stätte der Versöhnung“ weiterzuentwickeln. Block lud auch Düllmann ein, daran mitzuwirken. Düllmann blieb aber hart: „Ich habe mit Ihnen nichts, aber auch gar nichts gemeinsam.“

Der Vorsitzende Richter Volker Buchloh skizzierte, was das Gericht vorläufig beraten hat. „Die Gemeinde hat eine bewusste Entscheidung getroffen, das Relief beizubehalten“, sagte er. Es liege heute jedoch wohl keine Beleidigung mehr vor, so Buchloh. Zwar würdige das Relief Juden herab, wenn man es nur für sich betrachte, so der Richter. Die Kirchengemeinde habe das Relief aber in eine Gedenkkonzeption eingebettet. In diesem Zusammenhang habe das Judensau-Relief in objektiver Sicht keine beleidigende Wirkung mehr. Dass Kläger Düllmann sich persönlich beleidigt fühlt, sei nicht maßgeblich. Der Senat beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen.

Revision schon angekündigt

Das Gericht setzte sich auch mit der Aussage des evangelischen Landesbischof Friedrich Kramer auseinander, der im Vorjahr gesagt hatte: „Eine Beleidigung bleibt eine Beleidigung, ob man sie kommentiert oder nicht.“ Dem scheint das OLG nicht folgen zu wollen. „Wenn man das konsequent zu Ende denkt, wäre auch die vom Kläger vorgeschlagene Präsentation des Reliefs in einem Museum unzulässig“, sagte Richter Buchloh.

Das Urteil wird am 4. Februar verkündet. Buchloh deutete an, dass der Senat die Revision zum Bundesgerichtshof zulassen werde. Kläger Düllmann hatte schon im Vorfeld erklärt, er werde den Fall bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg tragen. (mz)

Begrüßung im Gerichtssaal: Der Kläger Michael Dietrich Düllmann (l.) und Stadtkirchenpfarrer Johannes Block geben sich die Hand.
Begrüßung im Gerichtssaal: Der Kläger Michael Dietrich Düllmann (l.) und Stadtkirchenpfarrer Johannes Block geben sich die Hand.
dpa