Junge Kunst trifft betagte Töpferscheibe
WITTENBERG/MZ. - Dennoch wurde es dem Publikum nicht leicht gemacht. Mehr als 90 Anbieter aus nah und fern lockten mit keramischer Kunst in Hülle und Fülle rund um den Marktplatz. Kulinarische Köstlichkeiten, appetitlich arrangiert, gab es auf dem Bauernmarkt im Cranachhof und am Sonnabend zusätzlich eine große Auswahl geistiger Nahrung beim traditionellen Antiquariatstag. Da fiel die Entscheidung in vielerlei Hinsicht schwer, doch bei Plaudereien am Rande des Geschehens wurden bereitwillig taktische Tipps ausgetauscht. "Am ersten Tag gucke ich nur", bekundete eine Dame, gekauft werde erst beim zweiten Durchgang am Sonntag. Solange konnten viele nicht warten. "Manches Stück reizt einen schon, selbst wenn man weiß, dass der heimische Vasenschrank schon voll ist", gestand "WittenbergKultur"-Chef Johannes Winkelmann und warf begehrliche Blicke auf die raffiniert in den Ton eingearbeiteten Porträts auf den Gefäßen von Wilfried Meinhardt aus Dessau.
Während die einen noch abwogen und sich zügelten, hatten andere ihrer Kauflust schon freien Lauf gelassen. "Wie verrückt" habe sie Keramik erworben, gestand Christel Panzig vom Haus der Geschichte mit einem entschuldigenden Achselzucken. Mit vollen Tüten in den Händen und einem verklärten Lächeln im Gesicht zogen viele von Stand zu Stand, um ihre Schätze anschließend nach Hause zu schleppen. Tierische Typen wie die "schrägen Vögel" waren wieder im Angebot und auch possierliche Katzenköpfe mit pragmatischem Zweck (sie dienen der Bekämpfung von Läusen) wurden unters Volk gebracht. Zeitmesser und Zeitungsständer suchten neue Besitzer, sogar ein paar Schneemänner trotzten den sonnigen Temperaturen.
Liebhaber verspielter Formen wurden ebenso fündig wie Fans klarer Linien, farbenfrohe und dezente schwarzweiße Lasuren wurde unter die Lupe genommen, klitzekleine Ohrringe wechselten ebenso den Besitzer wie lebensgroße Skulpturen.
Eine archaisch elegante Dame mit hocherhobenen Armen am Stand von Knut Winkelsdorf hatte es zwei jungen Männern angetan, allein der stolze Preis von mehr als 1 000 Euro ließ sie zögern. Am Ende wurde man sich indes - unter Gewährung eines kleinen Rabattes - handelseinig. Er freue sich sehr, wenn sich auch so junge Leute für seine Werke interessierten, unterstrich der Schöpfer der hoch gewachsenen Weiblichkeit, die sich für den Transport praktischerweise in mehrere Teile zerlegen lässt. Überhaupt sei der Wittenberger Töpfermarkt einer der besten im ganzen Osten, so Winkelsdorf. Auf die Frage, was denn die Qualität ausmache, lacht der Mann aus Berlin: "Ein guter Markt ist für uns einer, wo die Leute kaufen - und hier verkaufen fast alle recht gut."
Das konnte auch Jürgen Schönwald bestätigen. "Ich bin zufrieden", bekundete der Mann aus Lubast, für den Wittenberg die einzige, aber jedes Mal durchaus werbewirksame Marktstation im Jahr ist. Zusammen mit seiner Töpferscheibe war er denn auch bereits das 17. Mal mit von der Partie. Das gute Stück kann selbst auf eine weit längere Markterfahrung verweisen. Es stamme ursprünglich aus der Straacher Töpferei und habe 1933 erstmals auf dem Wittenberger Marktplatz gestanden; auch zu DDR-Zeiten habe die Scheibe ihr Werk schon manches Mal in aller Öffentlichkeit verrichtet, weiß Schönwald zu berichten. Doch damit sind die Superlative in Sachen Töpfertradition noch lange nicht erschöpft. Die Lubaster Werkstatt kann in diesem Jahr ein ganz besonderes Jubiläum feiern. Sie existiert seit genau 135 Jahren und gilt damit als die älteste Töpferei in ganz Sachsen-Anhalt.