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Jahrestag  Jahrestag : Das Wunder von Bülzig

Von Corinna Nitz 07.08.2019, 13:30
Zum Zeitpunkt der Sonnenfinsternis am 11. August 1999 wurde dieser Silberkelch in Bülzig gegossen.
Zum Zeitpunkt der Sonnenfinsternis am 11. August 1999 wurde dieser Silberkelch in Bülzig gegossen. Thomas Klitzsch

Bülzig - In Bülzig hatten sie Glück: Während zur totalen Sonnenfinsternis am 11. August 1999 viele Beobachter im Dunkeln tappten, weil die Wolkenlöcher rar waren, riss in hiesigen Breiten der graue Vorhang auf.

Im Skulpturenpark hatten sie auch nicht nur das Naturereignis - überdies ereignete sich am Boden etwas, das selbst aus heutiger Sicht noch als einzigartig bezeichnet werden kann: Aus reinem Silber wurde, als sich der Mond vor die Sonne schob, ein sagenhafter Kelch gegossen: der Gral, jawohl (siehe „Mythen und Geschichten“).

Ökumenischer Charakter

Unter den reichlich 150 Besuchern im Skulpturenpark war auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, damals noch Direktor des Wittenberger Arbeitsamtes. Der praktizierende Katholik fühlt sich Bülzig aus familiären Gründen verbunden.

Er hatte die Gieß-Aktion gemeinsam mit dem evangelischen Ortspfarrer Matthias Schollmeyer erst ermöglicht. Denn für den Kelch benötigt wurden zwei Kilogramm Silber, also hat jeder einen Barren erworben. Zu haben waren die für je 147 D-Mark, sagt Schollmeyer, der am Sonntag an die Aktion erinnert.

Beide Barren wurden an jenem 11. August 1999 seit dem frühen Morgen in einem Muffelofen geschmolzen. Um 12.37 Uhr war das Maximum der Sonnenfinsternis erreicht, der Ofen wurde geöffnet, das mehr als 1000 Grad heiße Silber ergoss sich in die Form, an der Uwe Welz saß, denn es brauchte auch jemanden, der die Idee in die Tat umsetzte.

Als dann noch die Wolkendecke aufriss, hieß es: „Das ist das Wunder.“ Wie die MZ damals berichtet, empfand Haseloff das so und auch heute spricht er noch von einem Wunder, allerdings hinsichtlich des Gusses. Silber, sagt der Physiker Haseloff, lässt sich nicht gut gießen. Doch sei es an jenem Tag in Bülzig gut gelungen.

Die totale Sonnenfinsternis am 11. August 1999 war schon Wochen vor ihrem Eintreten ein großes Thema in Deutschland. Um möglichst vielen Menschen den Blick ans Firmament zu ermöglichen, hatte allein Zeiss vier Millionen Schutzbrillen hergestellt.

Weniger gefährlich als ungeschützte Blicke in die verdunkelte Sonne war das Erlebnis im Skulpturenpark von Bülzig: Dort wurde im Moment der Verdunklung ein Gefäß aus Silber gegossen. Ortspfarrer Matthias Schollmeyer wollte an den heiligen Gral aus der Parzival-Erzählung erinnern. Wer den Gral anschaute, dem konnten Krankheit und tiefster Schmerz nichts Böses anhaben.

Und es war der Versuch, „den kritischen Moment der Verdunkelung unserer Welt als etwas rätselhaft Wertvolles gerinnen zu lassen und danach in Form eines Gefäßes für den sakralen Gebrauch im neuen Jahrtausend zu bestimmen“, hieß es.

Um den Gral ranken sich viele Mythen und Geschichten, die Suche nach ihm war stets mit Abenteuern und Gefahren verbunden, aber auch begleitet von Wundern und großen Begegnungen.  CNI

20 Jahre später betont er neben der Einzigartigkeit des Augenblicks - totale Sonnenfinsternis quasi am Vorabend der Jahrtausendwende - besonders den ökumenischen Charakter der Handlung. Denn es waren katholische und evangelische Christen zusammengekommen und bis heute müssen laut Schollmeyer immer die verschiedenen Konfessionen vertreten sein, um aus dem Kelch trinken zu dürfen.

Der ist schön, auch wenn er offenbar doch nicht ganz unversehrt aus der Form kam. Haseloff spricht von einem Haarriss. Ist Rotwein im Kelch, bilde sich an der Außenwand ein kleiner Tropfen.

Man könnte darin auch ein Zeichen sehen, jedenfalls betont er: „Wir müssen weiter an der Annäherung arbeiten.“ Andererseits sei man nicht zuletzt seit 2017, als sich zum Reformationsjubiläum Evangelische wie Katholische begegneten, „auf gutem Weg“.

Sonntag nach Woltersdorf

Und der Kelch? Nach seiner Entstehung wurde bei einem Agape-Mahl aus ihm getrunken. Bis heute wird er von Zeit zu Zeit aus seinem Tresor geholt. Zuletzt etwa, als sie am 31. Juli in Zahna an den dortigen Stadtbrand von 1719 erinnerten.

Und auch am Sonntag, dem 20. Jahrestag, wird Schollmeyer ihn mitnehmen zum Gottesdienst, der um 10 Uhr in der Woltersdorfer Kirche beginnt. (mz)

Das Bild vom Gießer Uwe Welz stammt aus der MZ.
Das Bild vom Gießer Uwe Welz stammt aus der MZ.
Archiv Schollmeyer
Matthias Schollmeyer (r.) und Reiner Haseloff am 11. August 1999 in Bülzig
Matthias Schollmeyer (r.) und Reiner Haseloff am 11. August 1999 in Bülzig
Archiv Schollmeyer
31. Juli 2019: Schollmeyer, Haseloff, der silberne Gral
31. Juli 2019: Schollmeyer, Haseloff, der silberne Gral
Privat/M. Haseloff