In die Steuerfalle gelockt In die Steuerfalle gelockt: Wittenberger kämpft für Gerechtigkeit

Wittenberg - Gerhard Hünsch kämpft um Gerechtigkeit. „Das ist mein Hobby und meine Lebensaufgabe“, sagt der 74-Jährige. Der Wittenberger hat jetzt den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingeschaltet und bittet um die Übersendung von Formularen für seine Beschwerde. Die Post aus Frankreich steht noch aus. Der rekordverdächtige Briefeschreiber ist geduldig.
Trotzdem: „Die Liste derer, die mir nicht mehr antworten, ist sehr lang“, erzählt er der MZ. Auch die Justizministerin des Landes möchte aktuell für sich solch ein Plätzchen reservieren, für den Fall, dass Hünsch nichts Neues vortragen kann, schreibt sie unverblümt. Im Behördendeutsch wird schon lange von einem Problembürger gesprochen. Reicht es deshalb aus, Antworten zu verweigern? Darf ein Bürger Anstand von einem Amt erwarten? Solche Fragen sind für den Ex-Unternehmer zweitrangig. Er hat nur ein Ziel: Seine Hausbank solle endlich „ihre gravierenden Fehler“ eingestehen.
Das aber wird die Sparkasse nicht tun, weil Aufsichtsbehörden und Gerichte dem Geldinstitut ausnahmslos den Rücken stärken. Es geht um den 25. November 1993. Hünsch unterschreibt die Bausparurkunde. „Herzlichen Glückwunsch zum Abschluss“ gratuliert die Bank und zahlt einen Kredit in fast siebenstelliger Höhe - damals in DM - an den einstigen Projektierer im Stickstoffwerk aus. Hünsch hat zuvor die Chancen der Wende genutzt und stellte - er ist damit der Erste in Wittenberg - einen Antrag zur Rückübertragung.
Comeback mit dem früheren Familienbetrieb
Es geht um die von seinem Großvater Friedrich Hünsch 1877 gegründete Zimmermannsfirma. 1972 wurde der Betrieb enteignet. Hünschs Mutter Emma wurde der Beschluss einfach in die Hand gedrückt. „Wenig später ist sie aus Kummer gestorben“, so Hünsch, der kündigt, weil er es nicht mit ansehen konnte, „wie alles herunter gewirtschaftet“ wird.
Der gelernte Zimmermann schafft praktisch aus dem Nichts das Comeback des Familienbetriebes. „Ich habe keine Ahnung von Marktwirtschaft“, sagt er „aber wenn das Fachliche stimmt, kommt der Rest von allein.“ Erst hat er vier, dann 20 und schließlich 30 Mitarbeiter. Der Erfolg wird zu seinem Fluch. Er wird darauf angesprochen, dass er sein Guthaben besser arbeiten lassen müsse, und es Möglichkeiten gebe, dabei noch Steuern zu sparen.
Die Sonder-AfA sorgt in der Nachwendezeit für einen Bauboom. Weil der Kauf und die Sanierung von Immobilien im Osten in den Jahren nach dem Mauerfall vom Gesetzgeber steuerlich außerordentlich begünstigt werden, so dass die Hälfte aller Aufwendungen von der persönlichen Steuerschuld abgezogen werden konnte, ließen sich Tausende in die Steuerfalle locken.
Die Ursache für die Probleme war immer die gleiche: Die für die Kreditrückzahlung notwendigen Mieteinnahmen wurden nicht erreicht. Unter ihnen waren auch viele Prominente wie der Fußballtrainer Werner Lorant, Autorin Hera Lind, Moderator Wolfgang Lippert, Schlagerstar Matthias Reim und Ex-Tagesschau-Sprecherin Eva Hermann.
Es gibt aber ganz unterschiedliche Versionen. „Nicht beraten, nicht geprüft, nur ausgereicht“, vermerkt die Bank. „Die Renditeerwartungen waren viel zu hoch, allerdings sind wir eben dazu da, Kredite auszureichen und nicht, zu prüfen wie realistisch die Erwartungen der Kreditnehmer sind.“ Auf MZ-Nachfrage wird erläutert, dass Beratung und die Pflicht zur Dokumentation nur für Wertpapiergeschäfte bestehe. Hünsch betont, er sei beraten worden.
„Mir wurden Mieteinnahmen von 16 D-Mark pro Quadratmeter vorgerechnet, der Markt gab aber nur acht her“, sagt er heute. Vor 24 Jahren kaufte er ein dreistöckiges Mietshaus, sanierte es. „Das sollte unsere Altersversorgung sein. Das es jetzt so endet, habe ich nie für möglich gehalten“, so Hünsch. Es fanden sich keine Mieter. Hünsch stopfte die Löcher durch den Gewinn aus der Firma, die schließlich in Schieflage rutschte.
„Auflagen wie bei einem Schwerverbrecher"
Seine Rettungsversuche nennt der Staatsanwalt Insolvenzverschleppung. Das Gericht verhängt eine Geldstrafe. Die Justiz wertet inzwischen einen gepfefferten Brief als Gnadengesuch und erlässt die Ratenzahlung von zehn Euro pro Monat. „Aber unter Auflagen wie bei einem Schwerverbrecher. So darf ich meinen Wohnort nicht längere Zeit verlassen“, so Hünsch.
Er schreibt weiter Briefe. So erfährt Wittenbergs Polizeichef, worauf er zu achten hat. Und das Oberlandesgericht Naumburg ordnet eine Klage gegen Bank-Mitarbeiter wegen „versuchten Totschlags“ nicht an. Der Schriftsatz, so der Richter, müsse „von einem Anwalt unterzeichnet“ sein. Hünsch wartet wieder auf Post - diesmal aus Straßburg. (mz)