Gesangsverein in Bad Schmiedeberg: Gesangsverein in Bad Schmiedeberg: Chor Lyra verstummt

Bad Schmiedeberg - Nach 140 musikalischen Jahren steht nun fest: Der historische Gesangsverein Chor Lyra soll aufgelöst werden. Das endgültige Urteil ist vor kurzem in Bad Schmiedeberg bei einer einberufenen Wahlversammlung gefallen.

Bislang haben die 24 Mitglieder des Chores Lyra gemeinsam viele Höhen und Tiefen überwunden. Wechselnde Dirigenten und wenige Nachfolger - keine leichte Situation für den Verein, der im vergangenen Jahr sein 140-jähriges Bestehen feierte. Bei der diesjährigen Wahlversammlung fiel dann nach einer längeren Diskussion der Beschluss, den Gesangsverein aufzulösen.

Dabei seien dem einen oder anderen auch einmal die Umgangsformen abhanden gekommen, berichten mehrere Teilnehmer.

Obwohl sich mehr als zwei Drittel der Vereinsmitglieder für das Ende des Chors ausgesprochen haben, ist das Bedauern groß. Doch es sei die einzig richtige Entscheidung gewesen, findet Astrid Kupke, die viele Jahre lang die Vereinsvorsitzende war.

Bereits vor einem Jahr hat sie bekannt gegeben, dass sie den Gesangsverein aus privaten Gründen verlassen wird. Bei der Versammlung Ende März sollte deshalb ein neuer Vorsitzender gewählt werden. Doch zu diesem Posten erklärte sich niemand bereit. „Ohne einen Vereinsvorsitzenden, der Termine plant und dem Chor den Rücken freihält, geht es nicht“, erklärt Astrid Kupke.

An dem Nachmittag soll es aus diesem Grund eine längere Diskussion mit den Mitgliedern gegeben haben, die letztendlich eingesehen hätten, dass ein Chor unter diesen Voraussetzungen nicht länger existieren könne. „Wir haben einen Altersdurchschnitt von über 70 Jahren. Zudem gab unser Dirigent schon vor einigen Wochen bekannt, den Chor nicht weiter leiten zu können“, zählt Kupke Gründe für die Auflösung des Vereins auf.

Laienchöre ohne kirchlichen Hintergrund kamen verstärkt im 19. Jahrhundert auf - vor allem vor und während der Revolution von 1848/49 gründeten sich Singegemeinschaften außerhalb von Kirchen und Klöstern. Nach dieser eher bürgerlichen Phase setzte eine zweite Gründungswelle mit dem Aufleben der Sozialdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts ein, es entstanden Arbeiter-Gesangsvereine. Anfangs wurden diese von Männern dominiert, doch allmählich kamen immer mehr Frauen in die Chöre. Gesangsvereine haben hauptsächlich Volkslieder im Repertoire, die so auch über die Jahrzehnte erhalten wurden.

Viel länger zurück reicht indes die Tradition der kirchlichen oder kirchennahen Chöre mit entsprechendem Repertoire. Einer der ältesten und weltweit bekanntesten ist der mehr als 800 Jahre alte Leipziger Thomanerchor. Im Chorkreis Anhalt-Dessau, zu dem Teile des Kreises Wittenberg gehören, gibt es momentan 34 Chöre.

Laut Internetauftritt des Chorverbandes Sachsen-Anhalt existieren im Bundesland 346 Gesangsvereine - darunter 117 Männerchöre, 60 Frauenchöre, 151 gemischte Chöre und 37 Kinder- und Jugendchöre. Insgesamt singen 8 478 Erwachsene und 1 772 Kinder in den Chören des Chorverbandes Sachsen-Anhalt.

Thomas Stadler war für mehr als drei Jahre musikalischer Leiter des Chores. Obwohl er noch Student an der Musikhochschule in Leipzig ist, nahm er sich viel Zeit, um auch größere Projekte mit den Bad Schmiedebergern zu realisieren.

Anlässlich des 140-jährigen Bestehens schrieb Stadler eigens das Oratorium „Dübener Heide in vier Jahreszeiten“, das er gemeinsam mit dem Chor einstudierte. Doch nun hat sich der Leipziger neue Ziele gesteckt. Er möchte für einige Zeit ins Ausland reisen und ein anderes Studium beginnen. Da bleibt für den Chor Lyra nicht mehr viel Zeit.

„Wir stehen jetzt ohne einen Chorleiter und einen Vereinsvorstand da“, gibt Astrid Kupke zu. „Da macht es doch keinen Sinn, den Chor noch aufrecht zu erhalten.“ Das sieht Günter Obst allerdings anders.

Der Bad Schmiedeberger ist schon seit vielen Jahren Mitglied in dem Gesangsverein und kann es nicht verstehen, warum dem so plötzlich ein Ende gesetzt werden soll. „Ich bin richtig erbost über den Ausgang dieser Verhandlung“, resigniert Günter Obst.

Bei der hitzigen Diskussion auf der Wahlversammlung war er für die Erhaltung des Vereins - habe dann jedoch als „Buhmann“ dagestanden. „Es gibt einige, die keine Lust mehr auf den Chor haben und ihn deshalb so heruntergeputzt haben“, so Obst. Er vermute, dass sich einige von der schlechten Stimmung im Saal hätten beeinflussen lassen und deswegen gegen den Erhalt des Chores stimmten.

Das Ergebnis der Abstimmung fiel deutlich aus: 13 von 17 Wahlberechtigten entschieden sich für die Auflösung des 140 Jahre alten Vereins. „Aufgrund der genannten Tatsachen macht es wirklich keinen Sinn mehr, den Chor am Leben zu erhalten“, findet Uschi Kruschke, die bereits seit mehr als 20 Jahren im Chor Lyra aktiv ist.

Dennoch fiel der Bad Schmiedebergerin die Entscheidung nicht leicht. „Jeder in unserem Verein hat Freude am Singen - das verbindet uns ja auch.“ Doch vom derzeitigen Standpunkt aus sei es für die Mitglieder nicht mehr möglich, den Verein aufrecht zu erhalten.

Das bedauert auch Bad Schmiedebergs Bürgermeister Martin Röthel (SPD). „Die Entscheidung ist gefallen und ich kann daran leider nichts ändern.“ Noch im vergangenen Jahr hatte der Chor seinen großen Höhepunkt, als ältester Verein in der Kurstadt. „Wie sagt man so schön“, sagt Astrid Kupke: „Wenn es am Schönsten ist, sollte man gehen.“

Doch natürlich möchte der Chor nicht heimlich, still und leise von der Bildfläche verschwinden. Deshalb wird es am 27. April im Kurhaussaal ein Abschlusskonzert geben. „Das wird ein Best-of mit vielen ausgewählten Volksliedern werden“, berichtet die Noch-Vereinsvorsitzende Kupke. An dem musikalischen Nachmittag werden auch einige Auszüge des Dübener-Heide-Oratoriums zu hören sein, bevor der Chor Lyra verstummt. (mz)