Flüchtlinge Sachsen-Anhalt Flüchtlinge Sachsen-Anhalt: Gräfenhainichen diskutiert über Flüchtlingsproblematik

Gräfenhainichen - Der Kreis Wittenberg wird auch in Zukunft Asylbewerber und Flüchtlinge aufnehmen und diese auf Unterkünfte in allen Kommunen verteilen. Das bestätigte Vize-Landrat Jörg Hartmann (CDU) auf einer teilweise turbulenten Einwohnerversammlung in Gräfenhainichen. Derzeit erreichen nach Angaben aus der Wittenberger Verwaltung pro Woche 70 Personen den Kreis. „Es sind fast ausschließlich junge Männer“, so Hartmann.
Die Zahlen bewegen. Gut 300 Besucher waren zur Einwohnerversammlung erschienen. „Natürlich sehe ich das Interesse und spüre die Skepsis. Deshalb will ich, dass rechtzeitig, offen und ehrlich über die Unterbringung informiert wird“, so Gräfenhainichens Bürgermeister Enrico Schilling (CDU).
Weitere Aufnahmestationen stehen fest
75 Asylbewerber und Flüchtlinge leben derzeit in der 12 000 Einwohner zählenden Einheitsgemeinde. Das ist Tilo Bach eindeutig zu viel. Der Heidestädter macht keinen Hehl aus seiner Ablehnung gegen eine weitere Aufnahme. Seine Meinung teilen 216 Frauen und Männer, die ihren Namen unter ein Papier gesetzt haben, das die Politik vor Ort auffordert, konsequent gegen jede weitere Aufnahme von Asylbewerbern vorzugehen. Auch wenn am Ende nicht alle Unterzeichner in Gräfenhainichen wohnen, nimmt Schilling die Forderung ernst. „Wir müssen reden, am Ende aber auch in der Lage sein, besonnen mit Skepsis, Zweifeln und anderen Meinungen umzugehen. Auch das ist das Wesen der Demokratie.“
Es gibt keinen Zweifel. Gräfenhainichen wird weitere Personen aufnehmen. 31 Wohnungen im Bereich Gartenstraße sind bereits fix vom Kreis angemietet, wahrscheinlich noch vor Ende des Jahres wird eine auf 80 Bewohner ausgerichtete Gemeinschaftsunterkunft im ehemaligen Schleifer-Verwaltungsgebäude im Gewerbegebiet in Betrieb genommen. Überprüft würden außerdem Mietangebote in Zschornewitz, bestätigt Hartmann. Dass damit das Thema Unterbringung vom Tisch ist, sagt er nicht. „Ich bin nicht hierhergekommen, um zu sagen, dass alles so bleibt.“ Auch der Kreis werde regelmäßig mit neuen Zahlen konfrontiert. Ende 2014 kamen pro Monat 40 Asylbewerber in den Kreis, im November werden es nach derzeitigem Stand fast 300 sein.
Die Verteilung der Asylbewerber auf die einzelnen Bundesländer wird nach dem so genannten „Königsteiner Schlüssel“ organisiert. Je höher das Steueraufkommen und je größer die Bevölkerung eines Landes ist, umso mehr Flüchtlinge muss es aufnehmen.
Nach Baden-Württemberg (12,9 Prozent), Bayern (15,5) und Nordrhein-Westfalen (21,2 Prozent) gehen die größten Anteile. Sachsen-Anhalt werden 2,8 Prozent aller Bewerber zugewiesen.
Im Land selbst erfolgt die Verteilung allein nach dem Verhältnis der Einwohnerzahlen. Die Landkreise sind zur Aufnahme der Flüchtlinge und Asylbewerber verpflichtet. Die Kosten für die Unterbringung schultern Bund und Land. Kreise und Kommunen bekommen ihre Aufwendungen erstattet.
Polizei räumt mit Vorurteilen auf
Die Emotionen schlagen hoch in Gräfenhainichen. Offen wird in Frage gestellt, dass sich Flüchtlinge und Asylbewerber überhaupt integrieren wollen. Von Minderachtung der Frauen ist die Rede, von vermeintlichen „Bedürfnissen langer Zeit alleinlebender junger Männer“. Belegen kann die pauschalen Aussagen niemand. Wittenbergs Polizeichef Marcus Benedix warnt vor Vorurteilen. „Ich kann keine Zunahme von Straftaten bestätigen.“ Der Beamte hat Zahlen bei der Hand. Nur zur Kenntnis nehmen wollen diese die wenigsten Zuhörer.
Es wird immer wieder laut. Mit Namen stellt sich hingegen fast keiner der Fragenden vor. Das war ein Manko. „Du kannst bei der Masse und der aufgebrachten Stimmung nicht noch Ausweise kontrollieren und nur Gräfenhainichener zu Wort kommen lassen“, so Schilling. Am Ende blieben Skepsis und Vorurteile. Da halfen auch mahnende Worte wenig. „Ich war ein Flüchtlingskind. Ich wurde gut aufgenommen“, versuchte Joachim Nimmergut mit seinem Schicksal am Ende des Zweiten Weltkrieges um Verständnis für Zuwanderer zu werben. „Das waren Deutsche.“
Die Fronten sind verhärtet in Gräfenhainichen, wo auch mit der geplanten Gemeinschaftsunterkunft die Zahl von Flüchtlingen nicht einmal bei 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung liegen wird. (mz)