Experimente werden hier nicht gescheut
Piesteritz/MZ. - Mit der Situation in der gesetzlichen Krankenversicherung vergleicht Johannes Röder, Fachlehrer für Chemie am Lucas-Cranach-Gymnasium (LCG) im Wittenberger Stadtteil Piesteritz, die Profilierungsmöglichkeiten der staatlichen Gymnasien. "95 Prozent der Leistungen sind gesetzlich vorgegeben - in unserem Fall durch die Lehrplan-Rahmenrichtlinien und das Zentralabitur im Land." Nichtsdestotrotz sind die Pädagogen um Schulleiter Bernd Ludlei überzeugt, dass es gelungen ist, die verbleibenden fünf Prozent Freiraum kreativ auszugestalten und auch dem Cranach-Gymnasium sein Gesicht zu verschaffen.
Dafür sind 49 Lehrer und derzeit 523 Schülerinnen und Schüler bereit, zu experimentieren. Nicht nur im übertragenen Sinn, mit zweisprachigem Geschichtsunterricht etwa, wie Edda Borgwardt, die für den Sprach-Bereich zuständige Lehrerin, berichtet. Was sich letztlich auch auf die Beziehungen zum Schulumfeld auswirke. Cranach-Gymnasiasten würden gern angefragt, englisch- oder französischsprachige Gäste durch die Werkssiedlung zu führen. Dass bei den angebotenen Fremdsprachen Englisch, Russisch, Spanisch, Latein und Französisch letztgenannte für die Piesteritzer eine große Rolle spielt, hängt mit guten Kontakten zum Institut Français zusammen, aber mehr noch mit der Schulpartnerschaft mit einem Gymnasium aus Montauban.
Das Experimentieren hat sich seit den 1950er Jahren zum Markenzeichen der Schule entwickelt, dank der unmittelbaren Nachbarschaft zu den Chemiebetrieben. "Das SKW unterstützt uns immer großzügig", sagt Ludlei. "Ein gut ausgestattetes Labor" ist das Reich von Johannes Röder und seinen Kollegen aus den naturwissenschaftlichen Fächern. Mit Experimenten, die nah am Alltag sind, können Schüler chemische oder auch biologische Vorgänge erforschen und wiederum Ideen für weitere Anwendungsmöglichkeiten entwickeln. Chemie im Kontext, abgekürzt "Chik", heißt das Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, an dem sich das LCG seit drei Jahren beteiligt. Außerdem ist das Schullabor seit sieben Jahren Treffpunkt der Kreisarbeitsgemeinschaft Chemie. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass das Ganze unter dem Signum "Umweltschutzgerechtes" Experimentieren läuft.
Was die Teilnahme von Schülern an Wettbewerben insgesamt betrifft, "da gilt das Prinzip Klasse statt Masse". Das sagt Kurt Fuchs, der aus dem Fachbereich der Gesellschaftswissenschaften berichtet. Sehr großer Wert wird gelegt auf die Beteiligung an Initiativen und Projekten, die auf die Förderung von Demokratieverständnis und demokratischem Handeln zielen. Hier arbeitet das LCG eng mit Partnern wie der Körber-Stiftung, der Bundeszentrale für politische Bildung und vor Ort mit der Evangelischen Akademie Wittenberg und dem Pflug e. V. zusammen.
So haben Cranach-Gymnasiasten schon mehrfach im Vorfeld von Wahlen Bewerber aus der Region auf den "heißen Stuhl" gebeten, sich an öffentlichen Diskussionsveranstaltungen zur Zeitgeschichte beteiligt und eigene Medien- und Geschichtsprojekte umgesetzt. Erinnert sei nur an das Projekt: "Deutschland zwischen Protest und Anpassung in den 60er und 70er Jahren" mit dem Tandem-Partner aus dem bayerischen Naila. Für die Teilnahme von Schülern an solchen Veranstaltungen, so Fuchs, hat die Schule allein im vergangenen Jahr 5 000 Euro Fördermittel akquiriert, hinzu kämen nochmals 10 000 Euro, die andere Träger beisteuerten.
"Learning by doing" ist laut Fuchs die Maxime, wenn es um die Aneignung demokratischen Verhaltens geht. Das habe auch etwas mit Vorbildwirkung zu tun. So sei das Klima an der Schule bestimmt von einem gegenseitig achtungsvollen Umgang miteinander. Der Lehrer soll als Partner und Moderator verstanden werden.
Die Bedingungen, die die Einrichtung An der Stiege biete, sind gut, sagt der Direktor. Die Ausstattung mit Lehrern ließe keine Wünsche offen. Angenehm überrascht sei er bei seinem Dienstantritt in diesem Gymnasium vor gut vier Jahren über den ungewöhnlich hohen Anteil von Fachlehrern gewesen, der sich über den Unterricht hinaus als Fachberater qualifiziert und engagiert. Für die Eltern soll das die Botschaft sein, dass hier fundierter Fachunterricht vermittelt wird. In Schwerpunkt- und Kernfächern werden Förderkurse angeboten, Schüler mit besonderen Anforderungen, zum Beispiel Sprach- und Hörbehinderungen, bekommen zusätzliche Unterstützung. Auch die Infrastruktur sei in Ordnung: Die Gebäude bilden einen Campus. Und die weitere Sanierung von Haus I ist bereits geplant.