Ein ermutigender erster Versuch
PRETZSCH/MZ. - Es ist eine warme Atmosphäre, die das Publikum umfängt. Und das genießt am Mittwochabend sichtlich diesen ersten Versuch der Hausherren, das als Förderschule genutzte Schloss auch der Öffentlichkeit als eine Stätte der kulturellen Begegnung anzubieten.
"Ansichten zu Ansichten" heißt das Programm, das 1989 der Liedermacher Martin Rühmann und der Dichter Ludwig Schumann für die Chanson-Gruppe "Stadtgeflüster" geschrieben haben. Der 20. Jahrestag des Mauerfalls war Anlass, es mit Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung wieder auf die Bühne zu bringen. "Wir haben selbst gestaunt, wie aktuell es heute noch ist", sagt Rühmann. Und auch, weil nun alles laut gesagt werden darf, nennen sie sich jetzt "stattGeflüster".
Mit dem Percussionisten Gören Eckert und Warnfried Altmann (Saxophon und Klarinette) sind Rühmann und Schumann derzeit im Rahmen des Projektes "Salus kulturell" in den Einrichtungen der landeseigenen Gesellschaft unterwegs. Das sind psychiatrische Kliniken, Alten- und Behindertenheime sowie Kinder- und Jugendeinrichtungen wie das Pretzscher Heim. "Wir wollen das lebensbejahende Potenzial von Musik, Theater, Literatur für das Wohlbefinden der uns anvertrauten Menschen einsetzen, gleichzeitig auch die Verständigung untereinander und die gute Nachbarschaft mit den Einwohnern der Städte und Gemeinden fördern", erklärt Salus-Pressesprecherin Franka Petzke.
Positiv überrascht von der Resonanz der Pretzscher auf diese erste Einladung zu einer Kulturveranstaltung im Schloss zeigt sich auch die Leiterin des Kinderheimes, Sigrun Leine, die gemeinsam mit dem Schulleiter Thomas Schlüter etwa 30 Zuschauer begrüßt, darunter auch Mädchen aus dem Heim. Rühmann und der Percussionist haben nämlich in den Tagen zuvor mit den jungen Bewohnern gearbeitet - das Ergebnis soll beim Tag der offenen Tür in Heim und Schloss am 6. Mai präsentiert werden. Zudem ist geplant, ein Percussion-Ensemble unter Mitarbeit von Abdul Razak Mouhamed zu gründen. So nutzt der in Wittenberg lebende Afrikaner in der Pause die Gelegenheit, mit Gören Eggert zu fachsimpeln, während das übrige Publikum im improvisierten Schlosscafé bei Häppchen und Wein Gedanken zum ersten Programmteil austauscht.
Hörte man da noch mehr skurrile, aber nicht minder hintersinnige Geschichten wie die vom Mann auf der Kloschüssel an der Straßenbahnhaltestelle oder "vom Mond, dem Arsch", der im "Land der Wiederkäuer" die Verdunkelungsübung sabotiert, wird es nun ernster. Rühmann singt "Die Mondfrau vom Quecksilbersee in Buna" - bitterböse klagte das Lied seinerzeit den staatlich sanktionierten und stets bestrittenen, für Mensch, Flora und Fauna gleichermaßen lebensgefährlichen Umweltfrevel an. Schumann liest einen Original-Text eines im Stasi-Knast Magdeburg Inhaftierten, zu dem Eggert mit der Bandbreite seiner Percussion-Instrumente eine beklemmende Geräuschkulisse liefert: Schritte, Klopfen, metallisches Rasseln, Quietschen. Dann intoniert das Ensemble die DDR-Nationalhymne, und die Melodie aus Altmanns Saxophon stockt, bäumt sich auf, sträubt sich verzweifelt vor der Stelle, wo es heißt: "..dass nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint".
Aber es gibt noch etwas zur Ermutigung auf den Heimweg, "Alles kann man, was man will", heißt es. Auch Kultur in ein verschlafenes Städtchen bringen.