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Klimakrise Das macht die globale Erwärmung mit dem Landkreis Wittenberg

Die globale Erwärmung betrifft nicht nur den australischen Busch oder die Polkappen. Welche Probleme sie auch im Landkreis verursacht.

Von Anika Würz 03.08.2021, 13:16
„Luthers Hochzeit“  2020 war coronabedingt ausgefallen. Der Regen zur regulären Festumzugszeit war so stark, dass er zum Duschen für Stadtfest-Freunde reichte. Wenn es mal regnet, soll es künftig öfter heftig regnen.
„Luthers Hochzeit“ 2020 war coronabedingt ausgefallen. Der Regen zur regulären Festumzugszeit war so stark, dass er zum Duschen für Stadtfest-Freunde reichte. Wenn es mal regnet, soll es künftig öfter heftig regnen. (Foto: Klitzsch)

Wittenberg - Was die andere verheerende Krise neben Corona angeht - gemeint ist der menschengemachte Klimawandel - so ist es einfach diese als weit entfernt wahrzunehmen - sowohl zeitlich als auch geografisch. Die Auswirkungen aktueller Umweltbelastung treffen doch sowieso erst in Jahrzehnten ein. Dann macht sich die Klimakrise im australischen Busch bemerkbar oder an den Polkappen, jedenfalls weit weg. Aber stimmt das überhaupt? Welche Folgen der globalen Erwärmung sind im Landkreis angekommen, welche drohen?

Tropennächte in der Heimat

„Die Zahlen sprechen für sich, wer nicht an den menschengemachten Klimawandel glauben will, muss sich als ignorant bezeichnen lassen“, so formuliert es Achim Kuhn. Der Hobbymeteorologe und frühere MZ-Fotograf betreut gemeinsam mit rund 25 weiteren Wetterbeobachtern eine Messstation in Mühlanger. Ihm zufolge befindet sich der Landkreis Wittenberg in einem meteorologischen Sondergebiet, nämlich in einer Kessellage, eingeschlossen von den Elbauen, dem Hohen Fläming im Norden und der Leipziger Tieflandbucht im Süden.

„Hier ist es deshalb oft etwas wärmer als im Rest von Sachsen-Anhalt“, sagt er. Auch die außergewöhnliche Anfälligkeit Wittenbergs für Tropennächte - also Nächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad fällt - hänge teilweise damit zusammen.

Es ist hier also ohnehin schon wärmer als anderswo und die Temperaturen werden steigen: „Die Durchschnittstemperatur in Wittenberg hat sich von 8,7 Grad zwischen 1961 und ’90 auf mittlerweile 9,9 Grad erhöht“, sagt Kuhn. Die durchschnittliche Januartemperatur sei sogar um 1,6 Grad gestiegen. Das zum 1,5-Grad-Ziel.

Im Jahr 2018 lag der See im Wörlitzer Park trocken. Solche Jahre könnten zum Normalfall werden, sagt das Landesamt für Umweltschutz vorher.
Im Jahr 2018 lag der See im Wörlitzer Park trocken. Solche Jahre könnten zum Normalfall werden, sagt das Landesamt für Umweltschutz vorher.
(Fotos: Thomas Klitzsch)

Die Erwärmung hat drastische Folgen: „Die Veränderung der Jahresmitteltemperatur um ein halbes Grad verlängert die Vegetationszeit der Pflanzen um 14 Tage - bei rund 1,5 Grad Temperaturanstieg haben wir also eine um sechs Wochen verlängerte Vegetationsdauer“, erklärt der Kuhn. Dadurch entziehen etwa die Bäume dem ohnehin zu trockenen Boden noch länger Wasser.

Die Folgen der sich verstärkenden extremen Trockenheit sind zahlreich, wie das Landesamt für Umweltschutz (LAU) informiert: Wald- und Feldbrände, Missernten, das Absterben heimischer Baumarten, Befall durch Maisbohrer oder Borkenkäfer.

Wir alle haben die erschreckenden Bilder aus Rheinland-Pfalz gesehen, inwiefern muss Wittenberg seine Elbnähe künftig fürchten? „Die Elbe ist ein Tieflandfluss mit nur wenig Gefälle. Sturzfluten gibt das Gelände der Mittelelbe nicht her“, erklärt Jörg Herrmann, Bereichsingenieur des Flussbereichs Wittenberg beim Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft.

Trockenheit im Gartenreich

Im Gegenteil fürchtet der Experte gerade alles andere als Hochwasser: „Aktuell haben wir Mittelwasser - und da muss man sich richtig drüber freuen. Seit zwei Jahren sprechen wir nun darüber, dass die Elbe kaum noch Wasser führt.“ Dadurch sei zum Beispiel die Flora und Fauna der Auenlandschaft gefährdet, die sinkenden Grundwasserstände würden die Arbeit der Forstwirtschaft sehr erschweren.

Verstärkt wird der Effekt durch die sogenannte Sohlenerosion der Elbe. „Weil die Elbe als Schifffahrtsstraße ausgebaut und geradlinig gemacht wurde, haben sich Fließabschnitte verkürzt. Dadurch wird das Gefälle stärker und die Elbe gräbt sich ein“, erklärt Herrmann. Das senke nicht nur den Elbpegel, sondern auch den Grundwasserspiegel zusätzlich.

Steffen Kaudelka vom Gartenreich Dessau-Wörlitz bestätigt, dass Niedrigwasser und Trockenheit dem Weltkulturerbe bereits zu schaffen machen: „Gerade Gehölzbestände und Wasserflächen erleiden durch die Trockenheit der letzten Jahre, Schädlingsbefall und Extremwetterereignisse wie Stürme und Starkregen zum Teil stärkere Schäden.“ Der Bewässerungsaufwand für die kostbare Vegetation in den Gärten habe sich merklich erhöht, in den Jahren 2018 und 2019 seien sogar ganze Gewässerbereiche trockengefallen.

Schäden an Gebäuden

Selbst die Bausubstanz der historischen Gebäude wird laut Kaudelka von der beginnenden Klimakrise nicht verschont. Bei den Holz- und Fachwerkbauten führe die Trockenheit etwa zu „Verschiebungen im Baugrund, die sich letztlich durch Rissbildungen an der Gebäudesubstanz und sogar an den Interieurs der Schlösser zeigen“, erklärt Kaudelka.

Fatal - nicht nur für ein Weltkulturerbe. Und wenn es so weitergeht, könnten die Wörlitzer Anlagen künftig dauerhaft wasserlos sein. „Ab 2048 ist ein Jahr wie 2018 Durchschnitt“, prognostiziert das LAU nämlich für den Landkreis Wittenberg. Im „Worst-Case-Szenario“ steige die Durchschnittstemperatur hier um weitere 2,7 Grad bis 2050.

Das würde zu einer Verdopplung der Hitzetage im Vergleich zum Zeitraum 1960 bis 1990 führen, bis zum Jahr 2100 sogar zu einer Verfünffachung. Hochwasser im Winter, starke Trockenheit im Sommer und die Zunahme von Extremwetterereignissen stünden bevor. (mz)