Brigadefeier der Ehemaligen Brigadefeier der Ehemaligen: Alle Stickstoffwerker in Wittenberg wiedererkannt

Wittenberg - Die alten Zeichnungen, Steuerungsunterlagen aus längst vergangener Zeit, wecken Erinnerungen. Handgezeichnet sind sie noch. Das mache heute keiner mehr, zeichnen am Computer sei viel effektiver, sagt Horst Haberland. Er war 30 Jahre lang, von 1960 bis 1990, Leiter der ehemaligen BMSR-Projektierung im Stickstoffwerk der DDR-Zeit.
Brigadetagebuch hilft
Das erste Mal nach der Wende haben sie sich jetzt im Brauhaus getroffen, die Mitarbeiter der ehemaligen Automatisierungsprojektierung, Abteilung TP 5. Einige sind Rentner, andere arbeiten noch. „Wir waren insgesamt um die 50 Leute, meist 25 bis 30 zur gleichen Zeit“, erinnert sich Christine Göhlich, die anhand des alten Brigadetagebuchs die Namen ausfindig gemacht hat.
„Der Ursprung der Abteilung war in der ehemaligen Betriebskontrolle“, sagt die Frau aus Elster. Dass die Projektierung an die BMSR-Technik angegliedert war, sei in allen Chemiebetrieben so gewesen. 1967 sei die Abteilung, bestehend aus Projektanten und technischen Zeichnern, zur Projektierung gekommen. Ab 1976 waren die blauen Gebäude an der Möllensdorfer Straße Sitz der Projektierung. „1990 wurde sie dann aufgelöst, eine etablierte Abteilung mit sechs Fachabteilungen“, so Haberland.
Je nach Aufträgen war Arbeit für etwa 20 Leute, erinnert sich der einstige Chef. „Mancher ging nach Schwedt oder Leuna oder wechselte innerhalb des Werkes.“ Dadurch seien ständig neue Leute gekommen. Haberland, jetzt 87 Jahre alt, hat das Werk mit 60 verlassen, war noch fünf Jahre in einem Automatisierungsunternehmen tätig, bevor er in Rente ging.
Er finde es toll, alle mal wieder zusammen zu sehen, meint er. „Es ist schön, sich mal zu unterhalten und zu hören, was alle so in den letzten Jahrzehnten erlebt haben.“ Den weitesten Weg hat Ingrid Davidek hinter sich, sie ist aus Braunschweig angereist. „Ich war ab 1970 nicht mehr in der Abteilung, damals bin ich innerhalb des Werkes ins Rechenzentrum gewechselt“, erzählt sie.
Erkannt habe sie alle, mit denen sie zusammengearbeitet hat. Dass sie ausfindig gemacht werden konnte, hing wohl damit zusammen, dass sie ihren Namen nicht geändert hat. Es sei interessant, nach 48 Jahren zu sehen, was aus den Leuten geworden ist.
Mancher nur kurz dabei
Ebenfalls relativ kurz war Petra Schenk, eine gelernte Maschinenbauzeichnerin, in der Abteilung. Nur 16 Monate war sie als Zeichnerin dort in Arbeit, dann verließ die Frau aus Merkwitz das Stickstoffwerk und fing im Konsum in Kemberg an. „Ich wollte eigentlich im Werk in die Harnstofftruppe einsteigen, aber das hat nicht geklappt.“ Verkaufsstellenleiterin ist sie geworden, war nebenbei in der Versicherungsbranche tätig. Und hat sich im Oktober 1990 in Sachen Versicherungen selbstständig gemacht.
Christine Göhlich, inzwischen 76 Jahre alt, kennt viele Werdegänge der ehemaligen Kollegen, die jetzt zwischen 45 und 87 Jahre alt sind. „Einige sind schon vor der Wende weggegangen, andere haben sich später als Ingenieur mit eigenem Büro selbstständig gemacht“, erzählt sie. Auch sie selbst zählt zu letzteren, erst voriges Jahr hat sie aufgehört.
„Als die moderne Technik Einzug hielt, waren Zeichnerinnen nicht mehr so viel gefragt, schon da sind etliche weg.“ Manchen hat es in ganz andere Berufe verschlagen, Streetworker in Berlin zum Beispiel oder OP-Schwester im Krankenhaus. Oder sie sind Angestellte in Verwaltungen geworden.
Draußen im Hof stehen nach dem Kaffeetrinken die Grüppchen, an Gesprächsstoff ist kein Mangel. Beim Blick auf das Braugebäude lächelt Göhlich. „Da habe ich auch mit projektiert“, fällt ihr spontan ein und erzählt einige Histörchen. Im August hatte sie begonnen,
Kontakt mit allen aufzunehmen. „So ein Treffen wird es vielleicht nicht wieder geben“, sagt sie. Alle haben sich ausgetauscht, einen Nachmittag erfahren, was sich im Leben der anderen zugetragen hat. Viel Neues komme da nicht mehr dazu. Sprich’s und stößt mit den anderen auf die Gesundheit an. (mz)