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Behörde lehnt Zebrastreifen in Jüdenberg ab Behörde lehnt Zebrastreifen in Jüdenberg ab: In 7,8 Sekunden über die Bundesstraße?

Von Michael Hübner 09.10.2015, 18:47
Jüdenbergs Bürgermeister Wolfgang Zemelka rollte bei der Demo schon mal einen Zebrastreifen aus.
Jüdenbergs Bürgermeister Wolfgang Zemelka rollte bei der Demo schon mal einen Zebrastreifen aus. klitzsch Lizenz

Jüdenberg - Die Verantwortlichen in den Behörden dürfte die Top-Nachricht vom Freitag kaum überraschen: In Deutschland wird die Straßenverkehrsordnung überarbeitet, damit flächendeckend Tempo-30-Zonen eingeführt werden können. Schon im April (!) hatten sich die Verkehrsminister der Länder in Rostock darauf verständigt, auf Straßen im Unfeld von Schulen, Krankenhäusern, Altenheimen und Kitas grundsätzlich Tempo 30 einzuführen. So etwas wird in Jüdenberg seit 17 Jahren (!) gefordert. Der Kampf um einen Fußgängerüberweg könnte doch noch zum Happy-End führen. So jedenfalls sind die Statements auf MZ-Anfragen vom Magdeburger Verkehrsministerium bis hin zum Landkreis zu werten.

Spektakuläre Demo

Jüdenbergs Ortsbürgermeister Wolfgang Zemelka (Linke) engagiert sich seit Jahren für den Schutz der Kita- und Schulkinder mit spektakulären Aktionen. 150 Einwohner sperrten kürzlich die B 107, um mehr Sicherheit einzufordern. Vertreter der Behörden, die die Anträge in schöner Regelmäßigkeit immer wieder abschmettern, sind nicht vor Ort. „Nur ein Mann vom Ordnungsamt in Wittenberg war da, der kontrollierte, ob wir uns an alle Demoauflagen halten“, so Zemelka. Und so gibt es wieder keine Erklärung, die die besorgten Eltern verstehen oder sogar beruhigen könnten.Zemelka

Doch der Druck wird immer größer. Es gibt eine Empfehlung vom Landesverwaltungsamt an den Landkreis, „die Gemeinde“ in ihrem Anliegen zu unterstützen. Das erfährt die MZ auf Anfrage. Die Empfehlung stammt nach Angaben von Landesverwaltungsamtssprecherin Gabriele Städter bereits vom 12. Dezember 2013! Ein paar Tage zuvor hat Gräfenhainichen den Widerspruch gegen die Ablehnung des Kreises, dem aus formellen Gründen nicht stattgegeben werden konnte, zurückgezogen. Keinesfalls, sagt Städter, habe sich das Landesveraltungsamt - so wie es der Kreis noch im September 2014 gegenüber der Presse behauptet - gegen die Zebrastreifen ausgesprochen. Die Empfehlung ist bis heute - aus welchen Gründen auch immer - nicht umgesetzt.

Das Straßenverkehrsamt in Wittenberg hat zuletzt den in Jüdenberg geforderten Zebrastreifen abgelehnt. In dem Bescheid wird die Polizei zitiert: Es sei noch kein Unfall in Jüdenberg passiert!

Die Behörde hat auch ausgerechnet, das selbst in Spitzenstunden ausreichend große Zeitlücken existieren würden, um die Fahrbahn zu überqueren. Exakt sind es 7,8 Sekunden für die 7,10 Meter breite Straße. Im Bescheid findet sich der Sachverhalt Schwarz auf Weiß. „Schafft das auch die Oma mit dem Rollator, das Kleinkind?“, fragt sich der Jüdenberger Bürgermeister Wolfgang Zemelka (Linke).

Seit der Vollsperrung der B 100 zwischen Gräfenhainichen und Gröbern hat der Verkehr in Jüdenberg weiter zugenommen. Dadurch hat sich auch das Zeitfenster für Sprinter noch verringert. (mz)

Tatsächlich entscheide die „untere Verkehrsbehörde“ - also der Landkreis - über Fußgängerüberwege, sagt Peter Mennicke am Freitag auf MZ-Anfrage. Dabei sei aber ein umfangreiches Regelwerk zu beachten, so der Pressereferent des Magdeburger Verkehrsministeriums weiter. „Und die Rahmenbedingungen hat Jüdenberg bisher nicht erfüllt“, ergänzt Oliver Grafe. Laut Regionalbereichsleiter der Landesstraßenbaubehörde muss der Kreis bei seinem Votum mehrere Behörden einschalten.

Das hätte er schon schon längst wieder tun können, meint Enrico Schilling (CDU). Für Gräfenhainichens Bürgermeister ist in Jüdenberg eine völlig neue Situation entstanden. Für den Rathaus-Mann hat der Verkehr auf der B 107 seit der letzten Verkehrszählung im Februar 2014 - die gezählten Fahrzeuge reichen für eine Verkehrsberuhigung, aber es werden zu wenige Fußgänger registriert - stark zugenommen. „Seit der Vollsperrung der B 100 zwischen Gräfenhainichen und Gröbern nutzen jetzt viele die B 107 und die Autobahn als Alternative“, argumentiert er. Das bestreitet Grafe nicht. Er hält es für richtig, die Gefahrenpotentiale neu zu bewerten. Möglicherweise müsse „temporär etwas getan“ werden. „Nur an uns ist noch niemand herangetreten“, betont Grafe. Nach seiner Auffassung müsse der Landkreis diesen Schritt gehen. „Der wird doch nicht von allein aktiv. Selbst nach der Demo kam keine Reaktion“, sagt Schilling, „deshalb werden wir einen neuen Schlachtplan entwickeln.“ Zur mit Zemelka abgestimmten Taktik gehört ein neuer Antrag. Auch dieser Weg kann zu der von Grafe vorgeschlagenen Anhörung führen.

Chefsache im Landratsamt?

Vielleicht gibt es ja dabei noch eine weitere Überraschung in Form eines Verbündeten in der Kreisverwaltung. Der Fall Jüdenberg - und auch das kann als positives Signal gewertet werden - wird in Wittenberg jetzt zur Chefsache. Vize-Landrat Jörg Hartmann (CDU) will „das Thema Anfang der Woche mit dem Fachdienst besprechen“. Er bewertet die Idee aus Gräfenhainichen, wieder einen Zebrastreifen zu beantragen, schon mal als gut.

„Ich höre das alles mit Wohlwollen“, sagt Zemelka. Aber schon nach Ablehnung 2013 sei auch damals sofort ein neuer Antrag gestellt worden - und zwar auf eine Tempo-30-Zone. Freilich ist auch der Vorstoß vom Landkreis längst abgelehnt worden. „Über diesen Widerspruch steht aber noch die Entscheidung des Landesverwaltungsamtes aus“, sagt Ex-Polizist Zemelka, der darauf verzichten kann, wenn jetzt ein Votum für den Zebrastreifen fällt. Und wenn wieder nichts geschieht, wird Zemelka abermals aktiv. „Dann fordere ich eine Ortsumfahrung, die kostet dann aber ein paar Millionen“, redet sich der Kommunalpolitiker in Rage. Die Investition für ein bisschen Farbe und zwei Schilder fällt deutlich günstiger aus. Das freilich sagt Zemelka nicht, aber solche Meinungen sind bei der Demo zu hören. Beim Protestmarsch reiht sich Schilling in die erste Reihe ein. Der Verwaltungschef hofft, dass jetzt eine Entscheidung fällt, „solange die Autos noch fahren und nicht fliegen“. (mz)