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Jüdisches Leben Auf dem Toleranzweg in Wörlitz

Bei einer Führung wird über jüdische Geschichte in Wörlitz informiert. Die gerettete Synagoge trug aus ideologischen Gründen öfter andere Namen.

Von Andreas Hübner 12.07.2021, 08:56
Gästeführerin Beate  Schröter zeigt Besucher Thomas Winter den Jüdischen Friedhof in Wörlitz.
Gästeführerin Beate Schröter zeigt Besucher Thomas Winter den Jüdischen Friedhof in Wörlitz. (Foto: Andreas Hübner)

Wörlitz - Das ganz am Ende der Amtsgasse auch heute noch die Jüdische Synagoge steht, ist im Grunde genommen nur Hans Hallervorden zu verdanken. Der Großvater des berühmten Komikers und Schauspielers Dieter Hallervorden war damals als Garteninspektor für die Wörlitzer Parkanlagen verantwortlich. Als ab 1938 überall im Deutschen Reich Juden verfolgt und ihre Gotteshäuser zerstört wurden, kam es auch zu einer Attacke auf das kleine Gebetshaus am Rande des Parks.

Laut Überlieferungen stellte sich Hallervorden den zwei vermummten Angreifern in den Weg und versuchte mit Engelszungen auf sie einzureden. „Er machte darauf aufmerksam, dass in Wörlitz ja gar keine Juden mehr lebten“, berichtet Beate Schröter, „und das Bauwerk ja auch ein Kunstwerk sei.“

Tür zugehalten

Doch die Attentäter, die mit mehreren Kanistern Benzin bewaffnet waren, ließen sich zunächst nicht von ihrem Vorhaben abbringen und drangen in die Synagoge ein. „Hallervorden hielt dann von außen die Tür zu“, beschreibt Schröter, die als ehrenamtliche Gästeführerin im Wörlitzer Park tätig ist, die dramatische Szene. „Sein Gedanke war, solange die Männer selbst drinnen sind, werden sie nichts anzünden.“

So kam es dann auch. Irgendwann fanden die beiden Täter doch wieder nach draußen und rannten unverrichteter Dinge davon. „Unerkannt entkommen“, hatte Hallervorden damals berichtet und aufgrund seiner mutigen Tat schon bald seinen Arbeitsplatz verloren. Die Forderungen aus der Gemeinde, die Synagoge abzureißen, seien in den folgenden Monaten immer lauter geworden.

Doch dann kam der Krieg dazwischen und die Synagoge am Park des Fürsten von Anhalt geriet in Vergessenheit. Die Synagoge, die im Laufe der Zeit aus ideologischen Gründen immer wieder umbenannt wurde – sie hieß Judentempel oder Vestatempel - war am vergangenen Samstag die letzte Station einer Führung auf dem Toleranzweg Wörlitz zur Geschichte der Juden und der jüdischen Gemeinde.

Lediglich Thomas Winter hatte sich am Treffpunkt eingefunden, um den Ausführungen Schröters zu folgen. Für den etwa 90-minütigen Spaziergang war der junge Mann extra aus Schkeuditz angereist. „Ich bin allgemein sehr geschichtsinteressiert, insbesondere was die Geschichte der Region, in der ich lebe, betrifft“, so seine Begründung.

Grundsätzlich ist die Historie in der kleinen Parkstadt friedlich, was in erster Linie der toleranten Politik des Anhaltischen Fürstenhauses zu verdanken ist. „200 Jahre lang gab es eine jüdische Gemeinschaft in Wörlitz“, so Schröter. Die meisten Juden kamen Anfang des 18. Jahrhunderts hierher und stammten in erster Linie aus Brandenburg und Polen.

Neun Prozent der Einwohner

Die jüdische Bevölkerung machte zeitweilig bis zu neun Prozent der Einwohnerschaft aus. „Allerdings waren die meisten Juden nicht reich. Keiner von ihnen besaß beispielsweise ein Haus“, erklärte die Gästeführerin, die sich wegen des geringen Interesses die gute Laune nicht nehmen ließ.

Einem Projekt der 10. Klassen des Dessauer Philanthropinums ist es nach ihren Worten zu verdanken, dass in der Georg Forster Straße eine Gedenkstätte an den Jüdischen Friedhof, auf dem etwa 130 Menschen beerdigt worden sind, erinnert. „Nach 1848 verließen viele Juden den kleinen Ort mit den wenigen Verdienstmöglichkeiten“, so Schröter. Seit 1910 gelte die Jüdische Gemeinde hier als ausgestorben.

Die Synagoge am Rande des  Wörlitzer Parks
Die Synagoge am Rande des Wörlitzer Parks
(Foto: Andreas Hübner)