1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wittenberg
  6. >
  7. Asylbewerber im Landkreis: Asylbewerber im Landkreis: Arzt fährt nicht nach Holzdorf

Asylbewerber im Landkreis Asylbewerber im Landkreis: Arzt fährt nicht nach Holzdorf

Von Klaus Adam und Alexander Baumbach 24.11.2015, 10:12
Die Mehrzweckhalle Holzdorf ist Asyl-Notunterkunft.
Die Mehrzweckhalle Holzdorf ist Asyl-Notunterkunft. Christel/Archiv Lizenz

Holzdorf/Griebo - Wie gut sind die Flüchtlinge in der Mehrzweckhalle in Holzdorf und Griebo medizinisch versorgt? Diese Frage stellt sich unweigerlich, nachdem der MZ bekannt wurde, dass ein Bereitschaftsarzt oder eine -ärztin in der Region Jessen es abgelehnt hat, zu einem kranken Flüchtling in die Einrichtung zu kommen. Trotz Bereitschaft, trotz Fahrdienst. Der Patient solle in die Praxis kommen, so die Auskunft, die er erhielt.

Ein Taxi gerufen

Ronald Gauert, Sprecher des Landkreises Wittenberg, bestätigt das Vorkommnis. „Zu den Gründen möchte ich nichts sagen. Wir sind bemüht, eine Lösung zu finden“, erklärte er nur. Zum weiteren Verlauf sagte Gauert: Der Patient habe sich dann selbstständig per Taxi nach Jessen in die Bereitschaftspraxis fahren lassen. „Dort wurde er behandelt und ist auch gleich von dort in das Wittenberger Paul Gerhardt Stift überwiesen worden“, informiert Gauert die MZ auf seine Nachfrage in der Wittenberger Leitstelle.

Nicht nur für ihn resultiert daraus die Frage, inwieweit die Mediziner, die außerhalb der regulären Praxiszeiten als Bereitschaftsarzt im Dienst sind - für die Altkreisregion Jessen ist das wie berichtet seit Juli vergangenen Jahres nur noch einer -, verpflichtet sind, zu den Patienten zu fahren oder nicht. Woraus sich die nächste Frage ergeben würde: Wieso hat dann die Kassenärztliche Vereinigung den Diensthabenden extra einen Fahrdienst mit Auto und medizinisch ausgebildetem Fahrer zur Verfügung gestellt, den die Ärzteschaft über ihre Beiträge an die Standesvertretung im Grunde selber bezahlt?

Für die Ertüchtigung der ehemaligen Karl-Marx-Schule in Wittenberg als Notunterkunft für Flüchtlinge und Asylbewerber soll der Kreistag in seiner Sitzung am 30. November 1,7 Millionen Euro außerplanmäßig bewilligen. Es soll, so hieß es in der Kreisausschusssitzung, eine Vorfinanzierung der vom Land zugesagten Mittel für die Unterbringung von Asylbewerbern sein. Das Landesverwaltungsamt habe zugesagt, dafür auch eine Kreditaufnahme zu genehmigen. Ab Mai 2016 würden dann in der Schule 222 Übergangsplätze zur Verfügung stehen. Wollte man das ehemalige Katasteramt als Unterkunft herrichten, müssten eine Million Euro investiert werden, hätte aber nur 80 Plätze. Allerdings will der Kreis das Bürohaus in der Fabrikstraße ebenfalls für Asylzwecke nutzen: Dort soll der komplette neue Fachdienst mit bis zu 80 Mitarbeitern unterkommen. (mz/teo)

Selbst seine Nachfrage bei Amtsarzt Michael Hable habe nur wenig Licht in das Dunkel bringen können, so Kreis-Sprecher Gauert: „Es war nicht eindeutig zu klären. Wir werden ungeachtet dessen noch einmal den Kontakt zur Kassenärztlichen Vereinigung suchen, um eine Lösung herbeizuführen.“ Denn klar ist, dass es für die Asylbewerber „praktisch fast unmöglich ist, selber zur medizinischen Behandlung zu fahren“. Gauert fügt an, dass gerade die Flüchtlinge wohl nicht wegen eines Schnupfens den Bereitschaftsarzt rufen würden. Im konkreten Fall hatte sich die Notwendigkeit der ärztlichen Behandlung durch die sofortige Überweisung ins Krankenhaus offenbar bewahrheitet.

Der Kreis-Sprecher zitierte die Auffassung des Amtsarztes, nach der Bereitschaftsärzte wohl hinfahren müssten. Lediglich das Argument eines momentan vollen Wartezimmers könne gelten. „Chancen, eine Lösung für die Zukunft zu finden, sehe ich aber weniger in neuen Forderungen als im Gespräch miteinander“, so Gauert, der noch einmal auf eine geplante Kontaktaufnahme zur Kassenärztlichen Vereinigung verweist. Denn rechtlich ist die Form der medizinischen Versorgung eine Sache zwischen der Ärztevertretung und den Kostenträgern, das sind die Krankenkassen.

Weitere Fragen sind ungeklärt: Was geschieht, wenn ein Flüchtling Hilfe braucht, der nicht mehr in der Notunterkunft lebt, sondern schon in einer „eigenen“ Wohnung? Ohne Sozialarbeiter oder Wachschutz, die in solchen Fällen vermitteln könnten.

„Im Einzelfall zu prüfen“

Für Thomas Steil, den zuständigen Abteilungsleiter bei der Kassenärztlichen Vereinigung in Magdeburg, liegt die Sache klar auf der Hand. „Jeder, der nicht aus medizinischen Gründen nicht kann, ist verpflichtet, den Arzt selbst aufzusuchen.“ Das sage der Bundesmantelvertrag für die Ärzteschaft. „Der gilt aber nur für Versicherte“, so Steil. Pflegeheimpatienten sieht der Magdeburger in dieser Hinsicht als prädestinierte Klientel. „Einen Anspruch auf Besuchsdienst gibt es nicht. Da gilt auch nicht das Argument ,ich habe kein Auto‘ oder ,kein Führerschein‘. Das sind keine medizinischen Begründungen“, so der Mann aus der Ärztevertretung. Bei Flüchtlingen, so meint er, bestehe zudem die Frage nach dem Status. „Hier hat zunächst das Land für die Versorgung zu sorgen.“

Den konkreten Jessener Fall kenne er nicht. Und sagt, es sei immer im Einzelfall zu prüfen, „ob die Ablehnung der Bewegung zum Patienten rechtmäßig erfolgt ist“. Wie schon in seinem Statement vor dem Gesundheitsausschuss des Kreistages verweist er auf den Disziplinarausschuss der Ärztevereinigung, der angerufen werden könne. „Manchmal ist es auch nur eine Frage der Aufklärung“, so Steil.

Den Einwand der MZ, dies sei eine Grauzone, die letztlich dazu anrege, in solchen Fällen doch gleich den Rettungsdienst zu rufen, wehrt er ab. Für ihn als Juristen sind die Zuständigkeiten klar formuliert. Der Rettungsdienst ist für lebensbedrohliche Situationen zuständig oder Fälle, bei denen bleibende Schäden zu befürchten sind. Für alle anderen akuten gesundheitlichen Probleme, die nicht bis zur nächsten Sprechstunde warten können, kann der Bereitschaftsarzt angerufen werden.

In der Notunterkunft in Griebo indes kritisieren Flüchtlinge Probleme mit abgelaufenen Medikamenten und Verbandsmaterial. So sollen in der „Sprechstunde“ Medikamente ausgegeben worden sein, die seit August 2014 abgelaufen sind. „Die Flüchtlinge werden von einer niedergelassenen Ärztin und ihrem Team ehrenamtlich betreut. Für dieses hohe Engagement ist der Landkreis sehr dankbar“, erklärte Kreissprecher Gauert am Montagabend. Nach seinen Angaben greife dabei die Ärztin bei den Medikamenten zum Teil auf Spenden von Apotheken zurück. Verbandsmaterialien, die seit 1996 abgelaufen sind, sollen von einer Erste-Hilfe-Unterweisung stammen. „Wir können zwar nicht viel Deutsch, aber wir sind nicht blöd“, so dazu ein Flüchtling, der anonym bleiben möchte. (mz)

15 Monate abgelaufen
15 Monate abgelaufen
privat Lizenz