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An der Grenze gängigen Geschmacks

Von KARINA BLÜTHGEN 10.11.2009, 19:01

WITTENBERG/MZ. - Mittelalterküche ist eben doch etwas anders, als man es sich gemeiniglich vorstellt. Aber genau um das Ausprobieren, das Testen alter Gerichte ging es am Montag in der "Alten Canzley" in Wittenberg beim kulinarischen Streifzug durch das Jahr mit Familie Luther. "Es gibt bereits Restaurants, die sich der mittelalterlichen Küche widmen. Aber es war der Wunsch, das Thema dem Personal stärker mit Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 näher zu bringen", sagte Chefin Christa Rath, zugleich Dehoga-Gebietsvorsitzende.

Mit der Archäologin und Kochbuch-Autorin Alexandra Dapper hatte sie jemanden eingeladen, der das Gebiet sowohl theoretisch als auch praktisch beherrscht. Küchenchefs und Inhaber vom Best Western und Luther-Hotel, "Tante Emma" und der Alten Canzley (alle Wittenberg), außerdem vom "Burgstübchen" in Zahna und der "Fichtenbreite" in Coswig bekamen eine Mischung aus gängigen Nahrungsmitteln und Früchten der Saison zu kosten. "Man hat früher immer nach der Zeit des Jahres gekocht", betonte Alexandra Dapper das unterschiedliche Fruchtangebot.

Anhand der Funde im Lutherschen Elternhause in Mansfeld und überlieferter Kochbücher um das 16. Jahrhundert hatte Alexandra Dapper ein komplettes Menü vorbereitet. Das wird so sicher kaum ein Gast in hiesiger Gegend genießen können. Aber die Gastronomen testeten mehr oder minder tapfer gekochtes Fleisch in Würzbrühe, verfeinert mit geriebenem Roggenbrot, Mandeln und Rosinen und süßsauer abgeschmeckt. Danach gab es Pflaumen- und Weintraubenmus. Bis dahin war die Welt der Köche noch in Ordnung. Dann kam der Barsch. Da mochte die mittelalterliche Ansicht, dass Fisch als "kalte" und Mandeln als "warme" Speise harmonieren, noch so hervorgehoben werden, die Geschmacksknospen meldeten beim Probieren des tortenähnlichen Gebildes seltsame Konstellationen. Da mundete der Mörserkuchen, eine im Metallmörser gebackene Ei-Masse mit Semmelbröseln, Hähnchen und Leber, schon eher. Als sei dies noch nicht genug, ließ Frau Dapper noch das Quitten-Huhn-Ragout auftischen, an dem sich ebenfalls die Geister schieden.

All dies würzte die Archäologin mit Erläuterungen rund um die mittelalterliche Küche, die keine Mengenangaben kennt. "Das ist sehr speziell", lautete das Urteil von Markus Kuschel, Chefkoch im "Best Western". Das Fruchtmus sei in allen Variationen "interessant", aber "es an den Gast zu bringen, ist schwierig". "Der Mörserkuchen war lecker", sagte Uschi Köppe, Geschäftsführerin des Zahnaer "Burgstübchens". In der "Alten Canzley" soll es ab der nächsten Saison eine Seite der Speisekarte mit mittelalterlichen Gerichten geben, kündigte Christa Rath an.