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Adventsserie 2016 Adventsserie 2016: Türchen 5: Fundgrube an Wissen

Von Marcel Duclaud 05.12.2016, 04:30
Im Dezember öffnen sich die Türchen vom Adventskalender der Mitteldeutschen Zeitung Wittenberg und Jessen.
Im Dezember öffnen sich die Türchen vom Adventskalender der Mitteldeutschen Zeitung Wittenberg und Jessen. Symbol/cco

Pretzsch - Der Mann kann Geschichten erzählen. Zum Beispiel die von den vier Logenstühlen der Christiane Eberhardine. Sie zählen zu den wenigen Hinterlassenschaften der sächsischen Kurfürstin, die so wichtig gewesen ist für die kleine Stadt Pretzsch.

Dass die prächtigen Stühle mit dem in Leder geprägten Signum der Königin inzwischen restauriert, in der Kirche sowie im Schloss und im Heimatmuseum zu bestaunen sind, hat nach den Worten des Pretzscher Ortschronisten Erhard Dubrau mit einem Besuch von Nachfahren der Wettiner zu tun. Die sahen die Stühle und veranlassten, dass sie in Dresden restauriert werden. Allein die Annahme, dass sie das bezahlen, habe getäuscht.

Dubrau: „Die haben nichts wieder von sich hören lassen. Wir mussten nachforschen, wo genau die wertvollen Stühle abgeblieben waren und das Geld für die Restaurierung selber aufbringen - durch Spenden.“ 77 Jahre ist Erhard Dubrau alt - und eine Fundgrube an regionalem historischem Wissen wie das von ihm betreute Heimatmuseum eine Fundgrube von Zeugnissen regionaler Geschichte ist.

Der kundige Ortschronist kommt weder aus Pretzsch, noch ist er Historiker. Er ist vielmehr studierter Landwirt, seine Eltern hatten einst eine Geflügelfarm in einem kleinen Dorf bei Böhlen, das weggebaggert wurde. Er selber kam in den 1960er Jahren nach Pretzsch, zur dortigen Geflügelzucht. Dass seine beiden Söhne ebenfalls in der Branche arbeiten, freut ihn. Was er hofft, ist, dass die Familie Dubrau Pretzsch erhalten bleibt - dass eine Enkelin vielleicht nicht abwandert wie so viele andere junge Leute.

In der Stadtgeschichte hat Erhard Dubrau nach seinem Vorruhestand eine Heimat gefunden, die ihn ausfüllt. „Das ist mein Lebensinhalt geworden. Zu tun habe ich mehr als genug.“ Immer wieder werden der Heimatstube Exponate angeboten - nicht selten von Pretzschern, die einst ausgewandert sind und sich des Ortes ihrer Kindheit erinnern.

Auf diese Weise etwa ist die Fleischerinnungslade zurückgekehrt. Sie steht neben der Innungslade der Fischer, die unter anderem Kopien von Briefen enthält, die einst die berühmte Christiane Eberhardine geschrieben hat. Es muss damals Zoff mit den Fischern gegeben haben.

Der 77-Jährige forscht, sitzt in Archiven, veröffentlicht Beiträge. Aktuell ist einer im Jahrbuch Dübener Heide erschienen: über die Freundschaft Martin Luthers mit dem Pretzscher Adligen Hans Löser. Anfragen, die das kleine Museum erreichen, geben ihm Impulse.

Zum Beispiel die einer Berlinerin nach der „Scharfrichterei“ in Pretzsch. Die hat es tatsächlich gegeben, fand der Chronist heraus - südlich vom Schlosspark. Verbunden war sie wie andernorts auch mit der Abdeckerei, letztere existierte bis 1912.

Auf den Tisch kommt zu Weihnachten Ente oder Gans mit Grünkohl. Genau weiß das Erhard Dubrau dieses Jahr nicht: Gefeiert nämlich wird bei einem der beiden Söhne. „Wir richten Weihnachten immer im Wechsel aus.“

Weihnachten bedeutet für mich: Ruhe und Zeit in der Familie. Wir können uns über einiges austauschen. Zum Beispiel darüber, was im nächsten Jahr alles so ansteht.

Nicht verzichten möchte er auf den Gang in die Kirche am Heiligen Abend. „Weihnachten ist schließlich ein kirchliches Fest.“

Eine Katastrophe hat Weihnachten bei Familie Dubrau nicht stattgefunden: „Toi, toi, toi, bisher ist alles gut gegangen.“

„Eigentlich“, sagt Dubrau, „interessiere ich mich für alles.“ Für den einstigen Kurstandort zum Beispiel, drei Mal ist der Anlauf unternommen worden, Bad Pretzsch zu werden, immer erfolglos. Pretzsch hatte mal ein großes Strombad, es existierte bis 1952. Pretzsch kann in Sachen historischer Persönlichkeiten nicht nur mit der Kurfürstin aufwarten, sondern auch mit Friedrich Wieck und Erwin Strittmatter.

Pretzsch hat die Elbe vor der Haustür und die Schiffe im Blick. Modelle im Museum zeigen, welche es mal gab: zum Beispiel einen Elbe-Kettenschlepp-Dampfer. Dereinst existierte nämlich, was heute kaum einer mehr weiß, eine enorm lange Elbekette. Die reichte von Melnik bis Hamburg, weiß Erhard Dubrau zu berichten. Die Heimatstube mit ihren zahlreichen Räumen wird gerne von Kindergruppen besucht. Die können, wenn sie möchten, etwas darüber erfahren, wie sich Unterricht vor hundert Jahren abgespielt hat.

Erhard Dubrau zeigt dann zum Beispiel einen Rohrstock, wie er ihn selber noch (schmerzhaft) kennen gelernt hat. Auf die Frage, was das denn sei, antworten so ziemlich alle heutigen Schüler: ein Zeigestock. „Die wollen mir nicht glauben, dass früher Kinder damit geschlagen wurden.“

Das ist gottlob lange her. Nicht so lange her ist, dass es Pretzsch „arg erwischt hat“. Nach der Wende nämlich. Zur Geschichte der Stadt gehört selbstredend auch das: „Die Genossenschaft hatte mal 300 Beschäftigte, jetzt sind es noch 27. Wir hatten mal eine Zweigstelle der Kindermoden Aschersleben in der Stadt. Geschlossen. Es gab auch mal ein Keramikwerk.“ Die Zahl der Einwohner habe sich gravierend reduziert, von 2700 Menschen auf jetzt 1200. Was Erhard Dubrau besonders wurmt, ist die Vielzahl an leer stehenden Häusern. (mz)

Erhard Dubrau kann unzählige Geschichten aus dem regionalen historischen Fundus erzählen. Der 77-Jährige ist der Ortschronist von Pretzsch.
Erhard Dubrau kann unzählige Geschichten aus dem regionalen historischen Fundus erzählen. Der 77-Jährige ist der Ortschronist von Pretzsch.
Thomas Klitzsch