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Adventskalender Adventskalender Wittenberg mit Ibrahem Ghazal: Kein Weihnachtsfrieden

Von Alexander Baumbach 19.12.2016, 04:30
Im Dezember öffnen sich die Türchen vom Adventskalender der Mitteldeutschen Zeitung Wittenberg und Jessen.
Im Dezember öffnen sich die Türchen vom Adventskalender der Mitteldeutschen Zeitung Wittenberg und Jessen. Symbol/cco

Wittenberg - Die Langeweile, die zermürbt ihn. „Schritt für Schritt, heißt es immer wieder. Alles der Reihe nach. Und ständig dieses Warten“, erklärt Ibrahem Ghazal, was sein Leben derzeit ausmacht. Der 30-Jährige ist einer der über 100 Flüchtlinge, die im Herbst 2015 aus Syrien in den Landkreis Wittenberg kamen und dann mehr als drei Monate in der Notunterkunft in Griebo untergebracht waren.

Mittlerweile ist er von der Wohngemeinschaft in der Straße der Befreiung in eine eigene kleine Wohnung nördlich der Wittenberger Altstadt gezogen. Bis sein Asylantrag bearbeitet wurde, hat es Monate gedauert. Er trägt den Status „subsidiärer Schutz“ – das bedeutet, dass er für ein Jahr bleiben darf. Seine Familie darf er nicht nachholen.

Sein Kumpel Rami Hariri, mit dem er zusammen die Schulbank an der Universität in Aleppo drückte, der im gleichen Alter ist, lebt mittlerweile als anerkannter Asylbewerber (drei Jahre Aufenthaltsberechtigung und die Erlaubnis zum Studium) in Berlin. „Warum er diesen Status bekommen hat und ich nicht, das kann mir keiner erklären. Bürokratie eben“, gibt sich Ibrahem Ghazal resigniert.

Er spricht nur gebrochen Deutsch. Zwischen viele arabische Vokabeln mischt sich immer wieder Englisch. Erst seit einem Monat nimmt er an einem Integrationskurs an der Volkshochschule teil. „Der dauert neun Monate. Die Schule beginnt um 8.30 Uhr und endet um 12.30 Uhr“, erklärt er. Danach herrscht Warten. Ein Jahr habe er nun auf diesen Kurs gewartet. „Wenn ich dagegen die Flüchtlinge in der Türkei sehe, die können wenigstens etwas tun“, erzählt er.

Dabei ist Ibrahem Ghazal schon sehr engagiert. In der Bosse-Klinik hat der Künstler mit Patienten gearbeitet und eine Ausstellung zum „Locked-In“-Syndrom aufgebaut. Die Flurgalerie im Luther-Melanchthon-Gymnasium zeigt seit November Werke von ihm und Rami Hariri. „Wenn ich heimkomme, dann spreche ich mit meiner Familie, sehe ein wenig am Computer fern und beschäftige mich dann mit Malen, meinen Plastiken oder Lesen. Viel mehr gibt es im Leben des jungen Künstlers derzeit nicht. Richtige Weihnachtsstimmung will da nicht aufkommen. „Sicher freue ich mich, wenn ich sehe, wie sich die Kinder auf der Straße über die Weihnachtsdeko freuen. Aber worauf soll ich mich denn freuen? Auf meine leere Wohnung?“, sagt er.

Auf den Tisch kommt bei uns an Weihnachten nichts besonderes - aber wenn ich in Syrien Freunde besuchte, die Weihnachten feierten, dann gab es vor allem eines: viel Essen. Aber das ist bei jedem unserer Feste so.

Weihnachten bedeutet für mich die Zeit, in der sich die Kinder freuen. Ich beobachte das sehr gerne. Und wenn ich Kinder sehe, die sich freuen, dann bin ich auch glücklich.

Nicht verzichten möchte ich auf meine Familie und meine Frau. Aber dieser Wunsch wird auch in diesem Jahr wieder nicht erfüllt werden.

Die größte Weihnachtskatastrophe habe ich seit Jahren jeden Tag. In Syrien herrscht Krieg. Menschen sterben dort jeden Tag, Kinder wachsen ohne ihre Eltern auf, Eltern haben ihre Kinder verloren. Das ist nicht nur eine Weihnachtskatastrophe. (mz/ba)

Seine Frau Samah ist in Syrien und wartet darauf, dass sie ein Visum für die Familienzusammenführung bei der deutschen Botschaft beantragen kann. „Dafür brauche ich aber eine dreijährige Genehmigung. Und auch dann heißt es für meine Frau erst einmal wieder: Warten. Bis man einen Termin für die Antragstellung an der Botschaft im Libanon bekommt, vergehen Monate“, weiß er.

Das Szenario, dass beide in die Türkei gehen, um zusammen zu sein, wird immer realistischer. Dort lebt Ibrahems Bruder und arbeitet für eine Hilfsorganisation. „Aber so lange wir noch Hoffnung haben, dass wir beide in Deutschland bleiben können, möchten wir hierher. Ich fange jetzt mit dem Deutschkurs an“, sagt der Mann, dem es schwer fällt, schon wieder ein neu begonnenes Leben aufzugeben.

Weihnachten ist für den Syrer aber auch in seiner Heimat nichts Exotisches. „Wir haben Christen im Freundeskreis, die Frau meines Cousins ist Christin. Zu den Feiertagen haben wir uns gegenseitig besucht und miteinander gegessen“, erzählt er. Für die Familie, die in Syrien geblieben ist, gäbe es aber gerade andere Sorgen als die Planung von Feiertagen. „Da herrscht Krieg. Die können für Weihnachten nicht einfach Urlaub von den Kämpfen nehmen“, sagt er. (mz)

Der Künstler Ibrahem Ghazal, der statt des Glühweins auch in der Adventszeit Tee trinkt, kam im September letzten Jahres nach Wittenberg. Seitdem beschäftigt er sich viel mit künstlerischen Projekten - im Asylverfahren ist er bisher noch nicht weit vorangekommen.
Der Künstler Ibrahem Ghazal, der statt des Glühweins auch in der Adventszeit Tee trinkt, kam im September letzten Jahres nach Wittenberg. Seitdem beschäftigt er sich viel mit künstlerischen Projekten - im Asylverfahren ist er bisher noch nicht weit vorangekommen.
baumbach