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Adventskalender Adventskalender: Türchen 16: Ein bisschen mehr sehen

Von Karina Blüthgen 16.12.2016, 04:30
Im Dezember öffnen sich die Türchen vom Adventskalender der Mitteldeutschen Zeitung Wittenberg und Jessen.
Im Dezember öffnen sich die Türchen vom Adventskalender der Mitteldeutschen Zeitung Wittenberg und Jessen. Symbol/cco

Bergwitz - Wenn es nach seinem Vater gegangen wäre, hätte Martin Gersch als Bankangestellter gearbeitet. Doch im feinen Anzug, mit Krawatte und spiegelblanken Lederschuhen über das Geld anderer Menschen zu reden, das war nicht sein Ding. „Vater, daraus wird nischt. Ich werd’ Bauer“, hatte der junge Mann seinerzeit selbstbewusst erklärt und nahm nach dem Abitur ein sechsjähriges Landwirtschaftsstudium an der Universität in Halle auf.

Gersch ist, nach einer kurzen Kindheit in Schlesien mit Flucht und armen, beengten Verhältnissen in den ersten Jahren im Anhaltischen, tatsächlich Bauer geworden. Wenn auch nicht mit dem Pflug auf dem Acker, sondern ab 1962 als Viehzuchtbrigadier in Pasewalk.

Eine Feuertaufe seien die vier Jahre dort gewesen, in einer Genossenschaft kurz nach der Zwangskollektivierung. 1966 kam er nach Selbitz, war auch hier Viehzuchtbrigadier, später LPG-Vorsitzender der Tierproduktion. 1982 wurde er stellvertretender Vorsitzender der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft im Kreis Gräfenhainichen, um nach der Wende zurück nach Selbitz zu gehen.

Die Natur hat den heute 78-Jährigen von jeher fasziniert. „Landwirtschaft ist: etwas schaffen, mit dem Leben umgehen“, beschreibt er den wichtigsten Aspekt seiner beruflichen Arbeit. Der andere in der Freizeit ist die Jagd, wobei dort für Gersch das Sehen und Lernen im Vordergrund steht. „Durch meinen Beruf habe ich lernen müssen, Tiere zu beobachten und ihren Charakter einzuschätzen. Genau so ist es auch im Wald. Ich gehe ja nicht hinaus, um zu schießen. Ich sitze, sehe und freue mich daran.“ Er bedauert, dass viele Menschen das Sehen verlernt haben und achtlos durch die Welt gehen.

Natürlich gehört das Schießen zur Jagd, steht für ihn aber nicht im Vordergrund. „Der Jäger darf kein Schießer sein. Es darf kein Schlachten werden, die Ethik der Jagd darf nicht verloren gehen.“ Wer unbedingt darauf aus sei, den Abzug zu drücken, solle bitteschön in einen Schützenverein gehen, aber kein Jäger werden und sich in der Natur austoben. „Und wenn ich schieße, dann tödlich.

Das Tier leidet genau so wie wir Menschen.“ Die Jagd ist ein uraltes Handwerk, fügt Gersch hinzu. Greift der Mensch nicht in die Bestände ein, wären die Schäden in Land- und Forstwirtschaft zu hoch, von mehr Verkehrsunfällen mit Wild gar nicht zu reden.

Auf den Tisch kommt auf jeden Fall Gans, das ist Tradition. Dazugibt es Rotkohl und, je nach Geschmack, Kartoffeln und Klöße, wobei Martin Gersch erstere bevorzugt. Dazu gehört ein guter Rotwein und ein schön gedeckter Tisch.

Weihnachten bedeutet für mich, dass die Familie wieder einmal zueinander kommt. Die Töchter wohnen weit entfernt, eine wird aber auf jeden Fall da sein, außerdem kommt der Sohn aus Eutzsch. Und auch die Schwiegermutter, 92 Jahre alt, wird dazu geholt.

Nicht verzichten möchte ich auf das Essen und die weihnachtliche Atmosphäre. Dazu gehört der Baum, eine Nordmanntanne, die vom Reinharzer Forstbetrieb geholt wird. „Oma ist ab Heiligabend da, ich mache mit ihr im Jeep eine Tour durch die Dübener Heide, während meine Frau das Essen vorbereitet.“

Die größte Weihnachtskatastrophe wäre, wenn die Feier nicht wie gewohnt stattfindet. Für Martin Gersch ist der Frieden, den er seit 1945 genießen kann, neben der persönlichen Gesundheit das größte Geschenk. (mz/kbl)

Dann ist nun noch der Wolf da. Für ihn als Jäger seien Wölfe kein Problem, meint der Bergwitzer. „Wenn der Wolf das Wild frisst, dann hört der Jäger eben auf zu jagen.“ Anders sei es bei denen, deren Existenz an Nutztieren hänge, seien es Schafe oder Rinder. Rinderherden im Fläming oder mitten in der Dübener Heide? Dafür hat es zwar mal einen Umweltpreis gegeben, aber wenn Wölfe künftig die Kälber töten, wird es für einen Besitzer unrentabel.

Gersch hat schon oft den Satz gehört: Wenn der Wolf kommt, hören wir auf. Zwölf Jahre war Martin Gersch Kreisjägermeister, in Kürze endet dieses Amt für ihn. „Es war eine schöne Zeit, mit Menschen zu arbeiten“, resümiert er. „Letztlich haben wir auch etwas erreicht, vor allem eine vernünftige und sachliche Zusammenarbeit zwischen Landes- und Bundesforst sowie den Jagdpächtern. Wir haben jetzt eine super Ausbildung, der Lehrkörper ist verjüngt.“

Sicher, es bleibt noch einiges zu tun, aber das mögen andere übernehmen. Er will kürzer treten. Nun bleibt dem „Langen“, wie Gersch sich selbst in der dritten Person nennt, wieder Zeit für die Natur. Dazu gehört die Beschäftigung mit seinem großen Aquarium ebenso wie das Genießen der Raureif-Landschaft von der Terrasse aus. „Ich bin ein bisschen Hobby-Ornithologe“, verrät Gersch. (mz)

Martin Gersch war zwölf Jahre Kreisjägermeister. Nun hat er das Amt abgegeben. „Es war eine schöne Zeit, mit Menschen zu arbeiten“, sagt er.
Martin Gersch war zwölf Jahre Kreisjägermeister. Nun hat er das Amt abgegeben. „Es war eine schöne Zeit, mit Menschen zu arbeiten“, sagt er.
Klitzsch