25 Jahren nach dem Mauerfall 25 Jahren nach dem Mauerfall: Allerletzter Rest von Produkten aus der DDR

Wittenberg - Natürlich gibt es noch Linda-Schmierseife, Badusan, Nautik-Seife, ATA und Casino de luxe, man kann Fit und Elsterglanz ebenso kaufen wie Duosan rapid.
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Im Discounter liegt Bambina neben Schlagersüßtafel, Nudossi hat seine Fans genauso wie die Gurke aus dem Spreewald. Sage nur niemand, dass es 25 Jahre nach der Wende keine Produkte mehr aus dem Osten gibt.
Aber... Jetzt ist es Zeit für die Einwände. Denn das ist ja gar nicht alles echt ostig. Gut, die Rezepturen wurden übernommen, die Optik zuweilen auch, jedoch sind es eben neue Produkte, manchmal von den alten Firmen noch immer hergestellt oder auch nach Übernahmen weiter im Programm gehalten.
Ob es aber tatsächlich noch in der DDR Hergestelltes in den Regalen geben kann und dies neuwertig verkauft wird, das kann nur ein Rundgang durch die Geschäfte klären. Hat da tatsächlich ein Ladeninhaber vor 1989 Produkte gehortet, so dass nach 25 Jahren noch etwas übrig ist und verkauft wird? Wo fängt man mit der Suche an?
Reste vom Jalousieband
Die erste Adresse, wenn es in Wittenberg um Produkte der DDR geht, ist das „Haus der Geschichte“.
Gleich hinter der Kasse offenbart der nachgebaute Konsum in angejahrter Pracht die Produktvielfalt der Volkseigenen Betriebe. „Die Silberzwiebeln sind ganz schön grau“, gibt Jürgen Schoch zu. Dafür grünen die Erbsen im Schraubglas noch ganz passabel. Zucker und Salz dürften auch heute noch genießbar sein. Im Regal gegenüber riecht die Undine-Seife - laut Mitarbeiter Schoch hat die mal zehn Mark gekostet - überraschend frisch nach grünem Apfel. Die Lilienmilch-Seife möchte man aber nicht mehr an die Haut lassen. Und ohnehin ist hier alles nur zum Anschauen und nicht käuflich.
Deswegen hinein in die Geschäfte, vor allem in die mit Tradition. Nach Abzug der Händler, die mit Verfallsdatum und Frischware verkaufen, schrumpft die Auswahl der seit mindestens 25 Jahren lagernden Ware beträchtlich. Aber da gibt es ja noch Traubs, das Spezialgeschäft für Seilerwaren und Saatgut in der Coswiger Straße. Chefin Christine Hoffmann steht hinterm Ladentisch und überlegt lange. „Also Saatgut und Düngemittel halten sich nicht.“ So ruht alle Hoffnung auf Seilen, Bindfäden und Schnüren. „Auch alle neu, aber vom alten Hersteller aus Quedlinburg, der seit Jahrzehnten für uns produziert.“ Warum aber hält ein Faden nicht so lang? „Er wird spröde und reißt leichter“, sagt die Herrin der Schnüre, die vom Leinenwurstfaden bis zum Sattlergarn reichen.
Dann aber fällt ihr Blick in die Regalecke. Da liegt tatsächlich altes Jalousieband. „Ja, das ist das einzige, was noch von früher da ist“, meint sie und greift zur Rolle. Vater Klaus Böhme hatte mal so richtig zugeschlagen, als es vor 1989 das begehrte Band gab. 15 bis 20 Rollen à 50 Meter müssten noch da sein. Na bitte, ein Relikt ist also gefunden.
Die letzten Winkelemente
Bei Kimstädt in der Collegienstraße sieht es sogar noch besser aus. Ladeninhaber Sven Blümner geht zielstrebig auf Wittenberg-Wimpel und -Aufnäher zu.
„Davon haben wir noch etliche. Damals hergestellt in Binz“, sagt er. Dann holt er einen Leporello aus einem Karton. Die illustrierten Texte von Christian Morgenstern sind ebenso ein Überbleibsel aus der DDR, nur leicht verblichen in mehr als 25 Jahren. Postkarten mit der Schlosskirche als Motiv (früher 20 Pfennig) haben in der Farbigkeit zwar etwas nachgelassen, nicht so hingegen die DDR-Winkelemente: Friedensfahne mit kleiner weißer Friedenstaube und DDR-Fahne aus festem Papier mit Plastestiel. Für 50 Cent kann man die letzten Reste kaufen. Nur zum Anschauen taugt die Literflasche mit Tinte und groß aufgedrucktem EVP (Einzelhandelverkaufspreis). Blümner angelt sie vom Regal, will schütteln, doch der Inhalt ist Gelee. Immerhin haben aber Wimpel und Aufnäher im „Haus der Geschenke“ gezeigt, dass Textiles made in GDR für Jahrzehnte gemacht ist und überdauern kann, wenn es denn zeitlos und nicht den Moden unterworfen ist.
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In Hellwigs Army-Shop gibt es davon reichlich. Wolfram und Edda Hellwig kauften nach 1989 alte NVA-Bestände auf: neue und gebrauchte Sachen, Kleidung, Ausrüstungsgegenstände. Im Laden in der Collegienstraße gibt es definitiv die größte Auswahl an neuwertigen Produkten aus der DDR. Zielsicher greift Edda Hellwig zur Unterwäsche der Soldaten. Zwar nicht mehr strahlend weiß, aber doch garantiert ungetragen und mit NVA-Einnäher verkauft sie sich noch immer. „Mein Mann schwört drauf und nimmt sie als Schlafanzug“, lacht Hellwig. Langsam gehe der Vorrat zur Neige, längst sind nicht mehr alle Größen verfügbar. Zeltplanen, Bestecke, Uniformen - was man so für den Friedenskampf brauchte, ist jedoch reichlich vorhanden. „Das könnte durchaus noch ein paar Jahre reichen“, glaubt Edda Hellwig, die auch daheim nicht alles ausgemistet hat, was sie sich einst unter Mühen zulegte. „Geschirr, Tischwäsche, Kristallgläser“, zählt sie auf. „Das habe ich noch und benutze es auch.“
Es gibt es eben diese Dinge für die Ewigkeit; einmal angeschafft, hat man sie ein Leben lang. Stempel beispielsweise. Andreas Pfautsch ist der Wittenberger Meister der Stempel. Das Traditionsgeschäft „Stempel-Awo“ liegt in der Bürgermeisterstraße. „Der Stempel ist auf dem Abstellgleis, seine Hoch-Zeit ist vorbei“, sagt Pfautsch. Das ist wohl traurig aber wahr, denn sonst hätte er nicht noch etliche Stempelrohlinge aus Holz aus DDR-Zeiten im Bestand. Denen sieht man ihr Alter wahrlich nicht an. Aus Rotbuche gedreht und lackiert, haben sie eine sachlich nüchternere Form als ihre westdeutschen Kollegen. Andreas Pfautsch macht diese Griffrohlinge mit einer Leiste komplett, bringt den Gummi mit dem Aufdruck an und schlägt einen Nagel ein, der dem Stempler signalisiert, wie der Stempel zu halten ist. Ab zwei Euro muss man investieren, um sich hier den ganz persönlichen Stempel machen zu lassen, aus einer Rotbuche, die noch zu DDR-Zeiten gefällt wurde.
Daunen von der DDR-Gans
Und ja, auch die Gänse, deren Daunen und Federn das Kissen von Peter Doert füllen, sind mindestens seit einem Vierteljahrhundert im Vogelhimmel. Lange vor der Wende ließen sie ihr Leben und wurden gerupft, damit man auch nach 25 Jahren die kleinen Kissen im blauen oder dunkelrosa Inlett in den Händen halten kann. „Da ist ein Webfehler, das verkauft sich schlecht“, begründet der Ladeninhaber von Betten-Doert den Daueraufenthalt der DDR-Kissen im Geschäft. Dann schiebt er sie wieder unten in den Haufen und findet in einem anderen Stapel einen Kinderkissenbezug mit Marienkäfern. Nichts steht drauf, aber der grafische Entwurf spricht sehr für die späten 80er-Jahre im Osten. „Mehr findet sich nicht“, sagt Doert.
Irgendwann ist eben alles mal verkauft, auch nach 25 Jahren. Das ist aber auch gut so, denn offensichtliche Ladenhüter will schließlich kaum jemand kaufen. Mit der Weiterproduktion früherer DDR-Artikel kann hingegen ein jeder ganz nach seiner Fasson nostalgisch, ostalgisch, rührselig oder einfach nur glücklich werden.


