Ungeklärter Tod gibt Rätsel auf
Weißenfels / MZ. - Mit Tränen in den Augen steigt Alexandra Strukowa in den Zug nach Berlin. Es ist ein Abschied für immer, denn auch ihre zweite Reise nach Weißenfels blieb ohne Erfolg. Die 68-Jährige suchte einen Hinweis auf ihren Vater. Das letzte Zeichen stammte aus Weißenfels. Nach amtlichen Militärdokumenten soll Leutnant Alexey Gawrilowitsch Popow am 5. Dezember 1945 von eigenen Leuten erschossen worden sein.
Jener Vorfall gibt bis heute Rätsel auf. Die Russisch-Lehrerin Nora Maul hält die Geschichte in Atem. "Wir suchen die Nadel im Heuhaufen", sagt die Frau aus Prittitz. Vor drei Jahren stand Alexandra Strukowa plötzlich in der Beuditzschule und die beiden Frauen liefen sich über den Weg. Die Deutsche stand von nun an der Russin zur Seite. Es entwickelte sich eine herzliche Freundschaft, Briefe wanderten hin und her. Dass sie jetzt erneut vor der Tür stand, kam für die Prittitzer Familie überraschend, trotzdem nahm sie sich Zeit. "Alexandra hat auf dem russischen Ehrenfriedhof erneut jeden Stein umgedreht, lief von Pontius zu Pilatus, sprach im Rathaus, Archiv und Gericht vor", erzählt Frau Maul.
Die Lehrerin suchte per Telefon und Internet. Von der Kriegsgräberfürsorge in Kassel erfuhr sie, dass es zwei Soldaten mit dem Namen Popow gab, der eine wurde in Wittenberg, der andere in Bad Sulza begraben. Doch die Daten stimmen nicht mit dem Gesuchten überein. Jener wurde 1912 geboren, war 1945 bereits Leutnant und Vorgesetzter der militärischen Kommandatur in Weißenfels. Doch warum sollten einfache Soldaten sieben Monate nach Kriegsende ihren Vorgesetzten - noch dazu öffentlich - erschießen?
Es gibt zwar ein amtliches Dokument darüber, doch jene die laut diesem geschossen haben sollen, finden sich in keinen Militärlisten, die über die damals hier Stationierten Auskunft geben. Als mysteriös erweist sich ein weiterer Vorfall. Im Frühjahr 1946 seien in der russischen Heimat Woronesch zwei Offiziere aufgetaucht, die den Hinterbliebenen persönliche Sachen überbrachten und von Ehefrau und Tochter Fotos machten. Laut russischem Glauben werden Gräber oft mit Fotos der Hinterbliebenen geschmückt. Die Tochter war damals sieben Jahre alt. "Meine Mutter hat nie mit mir über den Tod meines Vaters gesprochen. Erst als sie starb, fand ich die alten Unterlagen und machte mich auf die Suche", erzählt Alexandra Strukowa. Dann sparte sie für die Reise, besorgte sich Ausweis und Visum. Aber auch dieses Mal verlief die Spurensuche im Sand. "Wo Alexandra aufgehört hat, werde ich fortsetzen", sagt Nora Maul. Sie will den DRK-Suchdienst einschalten, dann in Städten entlang der Saale nach dem Verschollenen suchen. "Wir haben Alexandra einfach ins Herz geschlossen", sagt die Lehrerin. Am Donnerstag war die Russin wieder in Prittitz und wurde mit Mittagessen und Kaffeetrinken verwöhnt.