Tierische Verbindung seit 70 Jahren Tierische Verbindung seit 70 Jahren: Eine ganz dicke Freundschaft

Weissenfels/MZ - In Weißenfels gibt es eine ganz besondere Freundschaft. Auf der einen Seite ist da Dr. Hans Köhler. In diesem Jahr ist er 80 Jahre alt geworden. Wie alt seine kleine Freundin ist, weiß niemand. Philinchen könne jahreszahlenmäßig an ihn heranreichen. Sagen kann sie es nicht. Philinchen ist eine griechische Landschildkröte. Seit 1942 lebt das schmucke Tierchen im Elternhaus von Hans Köhler an der Franckestraße. Hans Köhler macht seine Handfläche auf, zeigt in die Innenfläche. So groß war Philinchen damals, erzählt er und schaut zurück.
Die Grichische Landschildkröte ist eine kleine bis mittelgroße Landschildkröte. Sie kann bis zu 20 Zentimeter groß werden. Ihre aus Knochenplatten bestehende Panzerkapsel ist von dünnen Hornschilden bedeckt.
Die Grundfärbung ist gelb bis oliv mit dunklen Flecken. Diese können individuell verschieden stark ausgeprägt sein.
Die Griechische Landschildkröte besiedelt große Teile des europäischen Mittelmeerraumes. Ihr Verbreitungsgebiet reicht von Spanien über Südfrankreich, Italien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Albanien, Bulgarien, Rumänien und Griechenland. Außerdem sind zahlreiche Inseln im Mittelmeer besiedelt. Ihre Lebenserwartung ist groß. Sie können mehr als Hundert Jahre alt werden.
Mitbringsel eines Soldaten?
Hans Köhler ist ein neunjähriger Knirps. An einem Tag kommt eine Verwandte vorbei - mit der Schildkröte in der Hand. Sie hat sie vor wenigen Momenten gefunden. Das Tier lief ihr im Neustadtschrebergarten über den Weg. Wahrscheinlich, so vermutet die Familie, ist sie ein Mitbringsel eines deutschen Soldaten, eines Landsers, der in Griechenland stationiert gewesen war. Zu dieser Zeit hatten deutsche Truppen den Balkan besetzt.
Der kleine Hans Köhler ist begeistert. Die Mutter nicht. „Sie wird damals nichts anderes getan haben als zu überlegen, wie sie die Schildkröte wieder los wird“, vermutet der heutige Ruheständler schmunzelnd. Doch die Rechnung hat sie ohne ihren Sohn gemacht. Der setzt alles daran, die Schildkröte zu behalten. „Eigentlich war ich ja ein folgsamer Junge, aber da war ich eisern“, gibt er gerne zu. Mit Erfolg.
Sensation und Diebesgut
Das Tier bekommt den Namen Philinchen. Der Name stammt aus dem Griechischen. Außerdem bekommt Philinchen einen Platz im Vorgarten der Familie. Sie wird zur Sensation in der Wohngegend. Das hat aber auch eine Kehrseite. Kleine Kinder bewerfen sie mit Steinchen, einige Male wird das Tier sogar gestohlen. Aufgrund ihrer Bekanntheit bekommen Köhlers sie aber immer wieder zurück. So ein Diebesgut ist einfach zu auffällig.
Aber für beide Probleme muss eine Lösung her. Der Blick fällt auf den Garten hinter dem Haus. Köhlers müssten sie dann aber anbinden. Sie informieren sich beim Tierarzt, ob der Panzer Nerven hat. Hat er nicht und so wird ein Loch durchgebohrt. Nun kann Philinchen an der Leine grasen.
Leibspeise Süßkirschen
Damals gibt es noch kein Internet. Köhlers haben keine Ahnung, was so ein Tier frisst. Die Familie probiert alles durch, Löwenzahn, Schwertlilienblüten - sie werden zu Nahrungsspezialisten ohne Netzwerk, so formuliert es Hans Köhler heute treffend. Dann findet er noch heraus, dass Philinchen eine Sorte eingeweichter Brötchen besonders gern mag. Aber eben nur die eine Sorte. Ihr Lieblingsessen sind und bleiben Süßkirschen. „Wenn sie reif vom Baum fallen, ist das Gesicht völlig beschmiert, so wie bei Kindern, wenn sie Marmelade naschen“, beschreibt Köhler den Anblick. Während er 1952 Biologie anfängt in Halle zu studieren und 1968 darin sogar seinen Doktortitel erhält, bleibt Philinchen im Haus an der Franckestraße wohnen. Später bekommt Philinchen einen Gefährten. Er stammt von einem Kommilitonen Köhlers aus Albanien und heißt Archimedes. Ihnen beiden gesellen sich im Laufe der Jahre noch zwei weitere Schildkröten hinzu.
1960 wird im Garten das Terrain gebaut. Aus Steinen, mit Gras und viel Platz zum Toben. Denn flink sind diese Tiere. Je wärmer es wird, desto mehr Energie lassen sie frei. Das ist jetzt noch nicht so zu merken gewesen. Bis vor kurzem haben die Tiere ihren Winterschlaf im kühlen Keller der Köhlers verbracht. Dort bleiben sie in jedem Jahr von Oktober bis April.
Auf den Anblick von Schildkröten muss Hans Köhler dennoch nicht verzichten. Seit Jahren bringen ihm Freunde und Bekannte die Tiere aus Stein, Glas, Holz oder anderem Material aus allen Teilen der Welt mit.
Nun geht die Sommersaison aber wieder los. Hans Köhler streichelt Philinchen. Mehr als sieben Jahrzehnte schweißen eben zusammen. „Sie erfreut sich bester Gesundheit, wahrscheinlich wird sie mich sogar überleben“, sagt Köhler, bevor er sie wieder vorsichtig absetzt.