Theatertage in Weißenfels Theatertage in Weißenfels: Schauspieler Ben Becker verzaubert mit magischer Stimme

weissenfels/MZ - Nach der fünften Zugabe von Ben Becker wartet Michael Cloßmann noch immer geduldig auf den Meister. Mit einem druckfrischen Wälzer in der Hand, steht der Weißenfelser vor der Bühne im Kulturhaus-Saal, den rund 400 Besucher nach einem langen unterhaltsamen Freitagabend gerade verlassen haben.
So wie der 42-Jährige wollen sich viele andere Fans Ludwig Reiners Sammlungsband „Der ewige Brunnen“, aus dem Ben Becker Gedichte und Balladen von Goethe und Schiller über Hebbel, Heine und Fontane bis zu Rilke und Ringelnatz gelesen hat, signieren lassen. Wie angekündigt - hält Becker sein Versprechen, schreibt Widmungen in das Buch, das Mitarbeiter der Weißenfelser Seumebuchhandlung an einem dicht umlagerten Stand im Kulturhaus-Foyer verkaufen.
Jetzt ist Michael Cloßmann rundum zufrieden mit diesem Abend. Und David Fischer (30), Christian Frank (35) und René Lange (38) sind es auch. „Was er macht, ist beeindruckend, er ist offen und locker, amüsant und vielseitig, er setzt sich mit Themen wie Leben und Tod auseinander“, sagt David Fischer. Das sei interessant und spannend. „Der Becker ist einmalig, ich wusste, dass ich die richtigen Karten gekauft habe“, erklärt Antje Zeymer (41). „Mir haben seine Rhetorik und das Provokante gefallen“, ist nach dem gut zweistündigen Gastspiel ohne Pause von Besuchern zwischen 30 und 90 Jahren zu hören. Und so erhalten Becker und sein Pianist und Freund Yoyo Röhm dann auch immer wieder spontanen Beifall bis zu stehenden Ovationen.
Der Mime mit der magischen Stimme verzaubert von Anfang an. Es ist nicht nur sein typischer Bass, womit der Theatermann großes Kino bietet, des Dichterfürsten „Erlkönig“ und „Zauberlehrling“ auf sparsam beleuchteter Bühne im dunklen mucksmäuschenstillen Saal lebendig werden lässt oder mit Fontanes „John Maynard“ an Bord geht. Mit der Ballade über den legendären Steuermann, der seine Mannschaft rettet und dabei selbst sein Leben verliert, erinnert Becker an seinen vor kurzem gestorbenen Ziehvater, den Schauspieler Otto Sander. Der Künstler will aber auch seine Liebe zum Abenteuer nicht verhehlen, das er auch in Schillers „Handschuh“ besonders mag. „Das ist ein bisschen wie bei den Gladiatoren, wie bei Spartakus mit Kirk Douglas“, zieht Becker den Vergleich mit dem Filmklassiker von 1960.
Der blonde Magier versprüht einen eigentümlichen Zauber, plaudert zwischen „Heideknabe“ und „Loreley“ locker und gestenreich. Dazu gehört, dass er sich ständig durchs dünne Haar fährt und eine störrische Strähne aus dem Gesicht streicht, die Brille aufsetzt und wieder abnimmt, aufsteht und sich wieder hinsetzt. Er ist witzig, provokant, beherrscht den Sprechgesang besser als das eigentliche Singen und - die Klaviatur der Satire. Das kommt an - nicht nur bei den Damen im Saal, die keinesfalls in der Überzahl sind, wie manche von ihnen vor der musikalischen Lesung angenommen hatten.
Der Magier zaubert und genießt selbst einen gewissen Zauber, der vom Publikum ausgeht. Ben Becker fühlt sich inspiriert und bleibt länger. „Ich habe die Türen von draußen schließen lassen und hoffe, Sie haben Zeit mitgebracht“, erklärt der Wahl-Berliner. „Ich habe meiner Frau gesagt, zum Frühstück bin ich spätestens wieder da“, fügt der 49-Jährige hinzu. Als der ganze Saal lacht, stimmt der gebürtige Bremer mit einem satten Lachen ein.
Als der Hanseat mit einem Zwischenruf aus den hinteren Reihen verbessert wird, stellt er mit Wortwitz fest: „Wir haben einen Germanistikprofessor im Saal!“ Was war geschehen? Becker kommt beim alten Hexenmeister aus Goethes „Zauberlehrling“ ins Schwitzen - „alles wegen dem Hut“, meint er und setzt die spitze schwarze Kopfbedeckung mit der großen Schnalle ab. „Wegen des Hutes“, ertönt es aus dem Saal. Die Massen toben und der Magier gibt sich schlagfertig, bezieht den „Literaturprofessor“ mehrfach ein und fragt, ob das alles so in Ordnung sei mit dem Genitiv. „Das macht richtig Spaß bei Euch - hier im Elbsteinsandgebirge“, bekennt er mit dröhnendem Basslachen. Dem „Professor“ verspricht er: „Sie bekommen Ihr Eintrittsgeld zurück!“ Und bevor sich der Mime mit einem charmanten „Gute Nacht!“ von einer begeisterten Zuhörerschar, die den großen Saal und den ersten Rang bevölkert, kurz nach 22 Uhr verabschiedet, kann er sich eine spitze Bemerkung nicht verkneifen: „In Bayern würde sowas nicht ankommen.“