Hilfsaktion in Röcken Hilfsaktion in Röcken: Wettlauf mit dem Krebs

Röcken - Kraft und Zuversicht haben derzeit die Oberhand. Nachdem die Krebskrankheit Andrea Bendrick drei Wochen ans Bett gefesselt hatte, kann sie seit wenigen Tagen sogar wieder die Wohnung in Pörsten (Burgenlandkreis) verlassen.
„Ich kann richtig Mutter sein“, benennt sie freudestrahlend das, was ihr an diesen guten Tagen das wichtigste ist. Sie freut sich auf Mias Geburtstag. Am 4. Mai wird die jüngste Tochter zwei Jahre alt. „Es wird bestimmt ein guter Tag“, sagt die 29-Jährige und hofft, dass ihre kraftvolle Phase anhält. Denn wochenlang ist sie oft nicht in der Lage, Besuch zu empfangen, ist dann froh, über Telefon- oder Internetnachrichten noch Kontakte pflegen zu können.
Zehn Chemotherapien hat sie bereits hinter sich. Die zehren immer wieder an ihr. Die geben ihr aber auch immer wieder ein Stück Leben. Sie ist dankbar dafür, dass Thoralf Lange, ihr Arzt im Weißenfelser Krankenhaus, die Behandlungen nicht abbricht. Er gibt sie nicht auf, solange sie sich selbst nicht aufgibt, ist sie sich sicher.
In Facebook gibt es die Gruppe Hilfe für Familie Bendrick, die mittlerweile 689 Mitglieder hat. In ihr sind verschiedene Hilfsideen geboren worden. Am Wochenende war zum Beispiel große Entrümpelungsaktion in Röcken, von den Wänden wurden Tapeten abgekratzt und Fliesen abgehackt, Farbtöpfe, Bau- und Renovierungsmaterial wurden vorbeigebracht.
Eine Spendensammlung zur Taubenkirmes in Sössen ist angeregt. Unabhängig davon wird die Integra jetzt einen Kuchenbasar zu Gunsten von Familie Bendrick veranstalten. Auf der Seite Wir helfen Familien.de im Internet werden Angebote praktischer Hilfe koordiniert, sind Kontaktdaten zu finden und das private Spendenkonto. Die Seite: wir-helfen-familien.de Spenden können auf das private Konto DE82 8005 3000 1141 1882 32 überwiesen werden (diese Spenden sind steuerlich nicht absetzbar).
Harte Wahrheit
Ihre Tochter Nele (7) hatte das Gespür, dass irgendetwas anders war, als ihre Mutter im Februar 2014 von den Untersuchungen in Leipzig zurückkam. „Stimmt's Mama, die haben dir gesagt, dass sie dir nicht mehr helfen können“, sprach sie die schlimme Erkenntnis aus. Nach der Diagnose Nasen-Rachen-Krebs im August 2013 war Andrea Bendrick immer voll Hoffnung, die Krankheit zu überwinden, obwohl die Geschwulst wegen ihrer Nähe zum Kleinhirn nicht operativ entfernt werden konnte. Die Feststellung von Metastasen in der Lunge und die erschütternde Aussage, damit nicht mehr lange zu leben, hatte die junge Frau sehr getroffen.
Der Gedanke vom neuen Zuhause
Das Mädchen spricht oft Dinge an, die die Erwachsenen verdrängen. So hat sie erklärt, dass sie, wenn die Mama mal nicht mehr da ist, nicht dort wohnen bleiben möchte, wo die Familie in Pörsten derzeit noch lebt. Sie möchte dann bei Onkel „Matusch“, Matthias Bendrick, leben mit Papa und Mia. So ist der Gedanke gereift, in Röcken ein neues Zuhause zu schaffen. „Das Grundstück hat mein Vater einst gekauft, weil es dort doch für viele Bendricks Platz gibt“, berichtet die kranke Frau. Bisher lebt nur ihr Bruder in Röcken, betreibt seine Autowerkstatt mit einem Angestellten auf dem Hof. Die Eltern der 29-Jährigen wohnen in Großgörschen, haben sich in Röcken ein Zimmer eingerichtet. „Ich wollte dort nie hin“, erzählt Andrea Bendrick. Doch ihre Lebensperspektive habe sich verändert.
Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr über den Familienalltag der Bendricks und den geplanten Umzug in ein neues Zuhause.
„Die Kinder waren mir immer das wichtigste und sind es nun erst recht“, sagt sie. Ihr erster Gedanke galt ihnen, als sie in Leipzig die bittere Prognose zum weiteren Verlauf ihrer Krankheit erfuhr. „Was soll aus ihnen werden“, fragte sie sich. Zwei Wochen später heirateten Sebastian Kirchner und Andrea Bendrick und gaben der Familie ihren Namen, „damit von mir noch etwas bleibt“, sagt die „Chefin“. So nennt Sebastian Bendrick seine Frau nicht nur, wenn sie ihre guten Phasen hat, nein, dann macht er sie auch postwendend zum Familienoberhaupt. „Er umsorgt mich rührend. Sobald ich nicht mehr kann, übernimmt er meine Pflege, kümmert sich um die Kinder und hält den Alltag am Funktionieren“, lobt Andrea Bendrick. Doch kaum, dass sie wieder bei Kräften sei, übergebe er ihr auch gern wieder Arbeit und Verantwortung. „Ich bekomme so gar keine Gelegenheit, in ein tiefes Loch zu fallen“, erklärt sie. Sie vertraue sich gern ihrem Mann an, schließlich ist er Altenpfleger, hat bis zur Übernahme ihrer Pflege im Heim gearbeitet.
Neues Heim kostet Zeit und Geduld
Jetzt nutzt ihr Mann den Freiraum, den ihm ihre augenblickliche Stärke gibt, um mit Helfern ihren Wunsch umzusetzen, der Familie in Röcken ein neues Zuhause zu schaffen. Es wird viel Zeit und Geduld kosten, das war ihm klar, als er sich dem Projekt zuwandte. Denn viel ist zu tun und die finanzielle Belastung hoch. Doch Andrea sollte sehen, dass die Familie zusammenrückt und sich in Röcken ihr Wunsch nach einer Zukunft der Kinder in stabilen Lebensverhältnissen und Geborgenheit erfüllt.
Als Freunde von dem Vorhaben erfuhren, wurde eine Welle der Hilfsbereitschaft angestoßen. Cousin Kay Bendrick gründete eine Facebook-Gruppe, in der sich binnen zweier Tage mehr als 400 schon bekannte und neue Freunde anmeldeten. Die von ihm angelegte Web-Seite „Hilfe für Familie Bendrick“ wird von Derek Anthony Scott (36) intensiv betreut. Dies ist ein krebskranker Freund aus Baden-Württemberg, der sich „austherapiert“ - so das Wort seines Arztes - seiner eigenen und der Zukunft seiner Familie stellen muss. Weil er selbst nicht mehr die Kraft hat, in seinem Beruf als Maler mit Hand anzulegen, trägt er mit seinem Engagement am Computer dazu bei, dass die Hilfe ankommt.
Umzug in greifbarer Nähe
So rückt für Bendricks der Umzug in ein neues Zuhause in greifbare Nähe. „Gewiss erlebe ich das“, sagt Andrea Bendrick voller Zuversicht und denkt bereits an ein Weihnachten 2016 für die Familie in Röcken. Dankbarkeit und neuer Lebensmut spricht aus den Worten der Mutter. Nach Mias Geburtstag muss sie noch einmal ins Krankenhaus. Für eine Studie wird ihr Gewebe aus der Lunge entnommen. Dann ist Neles achter Geburtstag im Juni das nächste Ziel. (mz)
