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Heinz Böttcher aus Krössuln Heinz Böttcher aus Krössuln

Von Anka Stolper-Heinike 25.04.2016, 09:02
Das offizielle Hochzeitsfoto von Ursula und Heinz Böttcher. Am 3. November 1945 haben sich die beiden das Ja-Wort gegeben.
Das offizielle Hochzeitsfoto von Ursula und Heinz Böttcher. Am 3. November 1945 haben sich die beiden das Ja-Wort gegeben. Privat

Krössuln - Heinz Böttcher aus Krössuln ist ein Original. Fast jeder der 171 Einwohner der zu Teuchern gehörenden Ortschaft kennt ihn - den Mann, der mit 91 Jahren noch immer Fahrrad fährt, um zum Beispiel in der Stadtverwaltung Behördenwege zu erledigen. Manchmal fährt er auch mit seinem kleinen roten Auto die fünf Kilometer zur Bücherei, um dort Dinge nachzulesen. Denn Heinz Böttcher ist wissbegierig, auch noch im hohen Alter. Und er möchte sein Wissen und seine vielen Erlebnisse der Nachwelt hinterlassen. Deshalb führt Heinz Böttcher Tagebuch.

Wenn er sich wieder einmal erinnert und dies aufschreiben will, setzt er sich meist auf die Bank im Garten hinter dem alten Bauernhaus, in dem er mit Ehefrau Ursula lebt. Er zückt den Stift und schreibt oft stundenlang. „Es gibt vieles, das ich erlebt habe - Schönes, aber auch Schlimmes. Ich will nicht, dass es in Vergessenheit gerät. Und meine Enkel und Urenkel sollen vor allem lernen, dass der Krieg etwas ganz Furchtbares ist“, sagt Heinz Böttcher.

Acht Jahre Schulzeit In Gröben

Sein Start ins Leben sei schon dramatisch gewesen, sagt der Krössulner mit einem Lächeln im Gesicht. Hebamme und Mutter hätten am 15. September 1925 bereits nach dem Pfarrer wegen der Nottaufe geschickt. Aber dann habe er doch geatmet und gekämpft - wie so oft in den vergangenen 91 Jahren. Heinz Böttcher erzählt von seinem Großvater Albin Böttcher, der eine Kartoffelhandlung betrieb, von seiner Schwester, die heute 88-jährig in Cottbus wohnt und von seiner Schulzeit. Acht Jahre lang habe er in Gröben gelebt und sei dort zur Schule gegangen, erinnert sich der Senior. Er erzählt, wie er 16-jährig in der Deubener Werkstatt der Riebeck-Montanwerke seine Ausbildung zum Bergmaschinen-Mann begann und auf dem Nachhauseweg mit dem Fahrrad seine Ursula kennengelernt hat.

„Heute haben wir einen Sohn und eine Tochter, vier Enkel und vier Urenkel und zwei Ururenkel“, sagt Heinz Böttcher und eilt zum Fenster, um Kater Felix hereinzulassen. Den habe seine Tochter ganz klein in der Aschegrube gefunden und nach Krössuln gebracht. Der zweite Kater Pauli sei mal angefahren und über den Zaun geworfen worden, erzählt er weiter.

Viele Tagebücher

Dass man das Leben achten soll, auch das der Tiere, habe er schon sehr früh begriffen, betont Heinz Böttcher und schlägt eines seiner vielen Tagebücher auf. Darin hat er seine schlimmsten Lebensjahre festgehalten, nämlich die, als der Zweite Weltkrieg tobte. „1942 haben die mich eingezogen. Das war schlimm“, sinniert der 91-Jährige. Viel Glück habe er gehabt, drei Verwundungen überlebt und auch die Aufenthalte in Polen, Tschechien, Nord- und Westfrankreich, Italien, Dänemark, Russland, Belgien, Ungarn und Luxemburg gut überstanden. Aber eine Sache, die hänge ihm doch noch sehr nach, erzählt Heinz Böttcher.

Geschichte in Tagebüchern

Als er mit der Infanterie in der Eifel war, habe er eines nachts die Stimme seines Freundes Rudolf Örtel gehört. Der habe ihn gerufen und er habe auch geantwortet. Es sei das letzte Lebenszeichen von seinem Kumpel gewesen, der auch aus Krössuln stammte. „Keiner hat je wieder etwas von ihm gehört“, kommt Heinz Böttcher ins Grübeln. Auch darüber, wie sich seine Verlobte und spätere Ehefrau Ursula sorgte, besonders, als sie eine Vermisstenmeldung erhielt. Umso größer sei die Freude der Familie gewesen, als er im Juni 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft heimgekommen ist, bestätigt auch „seine Ursel“. Am 3. November 1945 hat Heinz Böttcher seine Traumfrau geheiratet. Und im vergangenen Jahr haben die beiden ihre Gnadenhochzeit - also 70 Ehejahre mit der ganzen Familie gefeiert. Auch darüber hat Heinz Böttcher in seinen Tagebüchern geschrieben.

Leben in der DDR

Auch seinem Leben in der DDR hat der Krössulner einige Tagebücher gewidmet. Er schreibt über seine 50 Jahre Arbeit in der Deubener Werkstatt des Braunkohlenwerkes, darüber, wie er und seine Frau für Motorrad und Auto gespart haben. „Wir haben in der DDR gut gelebt, Obst und Gemüse im Garten angepflanzt und Kartoffeln, Getreide und Rüben auf unserem Morgen Feld. Und Kaninchen, Hühner und ein Schwein haben wir auch gehalten“, erinnert sich Heinz Böttcher. In seinen Tagebüchern berichtet er aber auch darüber, wie er mit dem Parteisekretär in der Deubener Werkstatt immer wieder aneinander geraten ist.

„Ich war der Älteste im Betrieb, habe aber keine Lohnerhöhung bekommen, weil ich den Mund aufgemacht habe“, erzählt der Krössulner lachend. Der Knappschaftsälteste habe ihm nach der Wende geraten, Einsicht in seine Stasi-Akten zu nehmen. Das habe er getan und nun wisse er auch, wer ihn bespitzelt und angeschwärzt habe. „Als Mitglied des Sportvereins SV Traktor Krössuln sind wir in den 50er Jahren mal in den Westen an den Niederrhein zu einem Turnier gefahren. Mein Quartierwirt hat mir einen Anzug geschenkt. Den habe ich laut Akte angeblich beim Klassenfeind gekauft. Nur war damals Pfingsten und alle Geschäfte zu. Wie kann man nur solch einen Blödsinn schreiben“, schüttelt Heinz Böttcher den Kopf. Und obwohl der Name des Inoffiziellen Mitarbeiters in den Akten geschwärzt war, sei klar, wer diesen Unfug berichtet habe. „Zum Glück ist das vorbei“, sagt Heinz Böttcher und holt weitere Tagebücher hervor.

Mit dem Fahrrad nach Dehlitz

Sie sind jüngeren Datums und enthalten unter anderem Aufzeichnungen darüber, wie Heinz Böttcher 82-jährig bei 26 Grad im Schatten mit dem Rad von Krössuln nach Dehlitz gefahren ist, um die Mündung der Rippach in die Saale zu finden. „Mein Enkel wohnt in Gerstewitz. Der hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als ich auf dem Rückweg zu ihm gekommen bin. Er hat mir das Rad weggenommen und mich mit dem Auto nach Hause gebracht“, erzählt der Rentner.

Auch Heinz Böttchers Tochter Rosemarie Liebezeit kann sich daran noch gut erinnern. Sie kümmert sich täglich um ihre Eltern. Dass ihr Vater auch heute noch die Mitteldeutsche Zeitung liest, wundert sie nicht. „Der Vater war immer wissbegierig. Und für seine Heimat interessiert er sich auch heute noch“, sagt die 70-Jährige.

Heinz Böttcher bestätigt das und schimpft gleich darüber, wie wenig der Rad- und Wanderweg entlang der Rippach im Teucherner Land gepflegt wird. Der Rentner ärgert sich auch darüber, dass irgendjemand die für den in Krössuln geborenen deutschen Komponisten und Musikhistoriker Johann David Heinichen (1683 bis 1729) angebrachte Messingtafel am Wanderweg gestohlen hat und die Ersatzplatte viel kleiner und unleserlicher ist, als die alte. „Schreiben sie das mal in ihrer Zeitung“, regt der 91-Jährige an. Heinz Böttcher hat noch viel zu erzählen. Gerade hat er wieder ein neues Tagebuch aufgeschlagen. Und während ihm die Kater Pauli und Felix zuschauen, beginnt der Mann, der in Krössuln ein Original ist, wieder zu schreiben. (mz)