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Flüchtlingshilfe in Weißenfels Flüchtlingshilfe in Weißenfels: Wie "Oma Helga" syrische Kinder unterstützt

Von Holger Zimmer 28.05.2020, 12:30
Helga Knittel hilft der neunjährigen Nour (links) und ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Rimas bei den Hausaufgaben.
Helga Knittel hilft der neunjährigen Nour (links) und ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Rimas bei den Hausaufgaben. Holger Zimmer

Weissenfels - Fast täglich ist Helga Knittel (75) bei der syrischen Familie von Safwan Aldahek (37), der mit seiner Frau Angham (30) und den inzwischen vier Kindern in einer nett eingerichteten Wohnung in der Weißenfelser City lebt. Da werden mit den Kindern Hausaufgaben gemacht, Besorgungen erledigt oder man übersetzt bei Arztbesuchen und Elternversammlungen.

Grund für Flucht war der Krieg in Syrien und die drohende Zwangsrekrutierung von Safwan

Gut fünf Jahre ist es her, dass Jörg Knittel (54) zwei Schlaganfälle hatte und nicht mehr als drei Stunden am Tag arbeiten sollte. Das änderte seine Sicht auf sein Leben und das anderer. Und gerade zu dem Zeitpunkt wurden über die Zeitung Helfer für die Flüchtlingsbetreuung gesucht. Die beiden Knittels arbeiteten in der Sachspendenstelle mit und wurden kurze Zeit später mit der Familie von Safwan bekannt, denen es zunächst an allem mangelte.

Grund für die Flucht der Familie war der Krieg in Syrien und die drohende Zwangsrekrutierung von Safwan durch Truppen des Islamischen Staates oder durch Assads Soldaten. So floh der Vater mit der zweitältesten Tochter Nour (heute 11) und die schwangere Angham folgte mit Hanadi (12) und Rimas (9). Letztere waren auch auf einem wenig vertrauenerweckenden sowie undichten Boot unterwegs und die Mutter musste wegen der Strapazen sogar einige Tage ins Krankenhaus.

Der Anfang war nicht einfach und so war auch die Wohnung spartanisch eingerichtet

Safwan hingegen kam in Ungarn drei Tage ins Gefängnis, schaffte es aber mit Flugzeug und Zug nach Deutschland. Seine Frau stand dann plötzlich in Weißenfels mit den anderen zwei Töchtern vor der Tür ihres Mannes. Da haben Knittels die Neuankömmlinge mit dem Auto ins Aufnahmelager nach Halberstadt gefahren, damit sie nicht als illegal Eingereiste abgeschoben werden konnten.

Der Anfang war nicht einfach und so war auch die Wohnung spartanisch eingerichtet. Armeespinde ersetzten ordentliche Schränke und zunächst musste man ohne Vorhänge vor den Fenstern auskommen. Schon damals kamen Jörg Knittel und seine Mutter Helga und übten mit den Kindern für die Schule und auch mit den Eltern die deutsche Sprache.

Großkorbethaerin ist zur Ersatz-Oma in Deutschland geworden

Die Familie lebt von Hartz IV. Safwan hat in Syrien als Herrenfriseur gearbeitet, scheitert in Deutschland aber an den notwendigen Sprachprüfungen, um einen Berufsabschluss machen zu können. Während seine Frau recht gut Deutsch spricht, hält sich ihr Mann im Gespräch zunächst etwas zurück, ehe er - nach Worten suchend - die Fragen des Zeitungsreporters beantwortet.

Für die Kinder ist Helga Knittel längst zur Oma geworden und so nennen sie die Großkorbethaerin auch. In Syrien leben aber eigene Großeltern, die sie täglich über den kleinen Bildschirm des Smartphones sehen und sie sprechen mit ihnen. Ob sie mal zurückkehren wollen, wenn in Syrien wieder normale Verhältnisse herrschen?

Klar, sie würden gern mal ihre Verwandten besuchen, die familiäre Bindung ist groß und auf die Frage, was ihre Heimat ist, gibt es fragende Blicke. Da hilft Oma Helga und sagt: „Hier seid ihr zu Hause, aber Syrien bleibt euer Heimatland.“

„Oma Helga“ hilft syrischen Kindern

Warum Helga Knittel und ihr Sohn helfen? Sie habe nach dem Zweiten Weltkrieg bei Nordhausen gelebt, als Flüchtlinge auf dem Dachboden einquartiert wurden. Sie kann sich vorstellen, was es heißt, die Heimat zu verlieren. Von den Großkorbethaern werde sie deshalb nicht geschnitten, haben doch viele vor fünf Jahren auch für die Neuankömmlinge gespendet.

Und die Hilfe, die sie ihren zwei syrischen Familien geben, füllt auch das Leben der Knittels aus. Denn sie werden gebraucht. Ohne „Oma Helga“ würden die Mädchen in der Schule nur schwer mithalten können, zu unterschiedlich sind Arabisch und Deutsch und manchmal fehlt die Geduld. Deshalb sei auch in der Corona-Pause regelmäßig gelernt worden, als der Unterricht noch nicht wieder angefangen hatte, sagt Frau Knittel.

Freundschaft geht durch den Magen

Aber auch sonst wird viel Zeit miteinander verbracht. Sogar Eis esse man gern mal im Einkaufszentrum „Schöne Aussicht“. Und Jörg Knittel, der sich mittlerweile um eine andere Familie in der Neustadt kümmert, betont, dass sie überall stets gern gesehene Gäste seien. Da könnten beide Seiten kulturell und kulinarisch voneinander lernen.

Es werden Geburtstage zusammen gefeiert und fragt man nach einem deutschen Lieblingsessen, verweist Nour auf Klöße sowie Rotkraut und ihre Schwester Hanadi sagt, dass man auch Türkisch, Indisch, Italienisch und Arabisch esse, also eigentlich fast alles. (mz)