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Burgenlandkreis Burgenlandkreis: «Es geht schleichend abwärts»

Von PETRA WOZNY 24.05.2011, 19:55

HOHENMÖLSEN/MZ. - Thomas Röhricht ist 19, als ihm gesagt wird: "Na, dann beantragen Sie schon mal die Rente." Wie jetzt? Das kann doch nicht wahr sein. Nicht ich. Was geschieht mit mir? Dies seien seine ersten Gedanken gewesen, als ihm die Diagnose Multiple Sklerose (MS) genannt wird. Der Hohenmölsener wollte es partout nicht wahrhaben, dass er lebenslang krank ist. Zwischenzeitlich hat der heute 39-Jährige die Krankheit akzeptiert.

Röhricht nennt MS einfach nur gemein. Sie kommt urplötzlich und bleibt für immer. Man sieht sie kaum. Sie greift die Nerven an und lähmt sie schließlich. Die Folgen sind Störungen des Gleichgewichts, der Bewegungsabläufe, des Sehens und Sprechens.

Thomas Röhricht sitzt auf der Couch so wie jeden Tag, so wie seit 20 Jahren. Er ist fast zur Untätigkeit verdammt. Sein kranker Körper benötigt viel Ruhe. Er erinnert sich. Langsam kommen seine Worte: "Zur Wende war ich ausgelernter Elektromonteur, mein Traumberuf. Geld wollte ich verdienen, ein Haus bauen, eine Familie gründen, vielleicht mal auf Montage gehen." Doch mit dem Gehen klappt es urplötzlich nicht mehr. Er schleppt sich 200 Meter, kann nicht mehr. Dann sieht er alles doppelt - auch ein Krankheitsbild. Das wird schon wieder, denkt sich der junge Mann. In 14 Tagen ist alles wieder gut, redet er sich ein.

Alles geht nur langsam

Es sollte jedoch noch schlimmer kommen. 1993 sitzt er im Rollstuhl. Da ist er schwer gezeichnet von MS und halbseitig gelähmt. "Die Krankheit kommt in Schüben. Ist einer überwunden, geht es dir ein Stück schlechter." Schnell geht gar nichts mehr. Aufgrund der Doppelbilder greift er häufig ins Leere. Ein Glas Wasser einzuschenken, einen Ball zu fangen - all das geht nicht oder sehr langsam. Schnurgerade zu laufen, kann er schon 20 Jahre nicht mehr. "Mich ärgert, wenn Leute hinter meinem Rücken in Unkenntnis lästern und sagen: Guck mal wie der früh schon rumeiert. Da wünschte ich mir wirklich mehr Kenntnisse bei dem Menschen über diese Krankheit."

In Sachsen-Anhalt leben etwa 4 000 Menschen mit Multipler Sklerose, der Krankheit mit den tausend Gesichtern, wie man sie nennt. Deutschlandweit rechnen die Fachleute mit rund 2 500 Neuerkrankungen. MS ist nicht ansteckend oder erblich, sie verläuft außerordentlich unterschiedlich. In jedem Fall aber bedeutet sie einen Bruch in der Lebenskontinuität. "Das erleben auch alle Familienangehörigen und Freunde", schildert Thomas Röhricht. Seine Lebensgefährtin, die er vor Ausbruch der Krankheit kennen gelernt hatte, steht zu ihm. "Von manchen Leuten habe ich mich getrennt. Die Freunde, die ich heute habe, die stehen zu mir", schildert er.

Nicht missen möchte er die Treffen in der Selbsthilfegruppe "MS-Talk" in der Saale-Unstrut-Region, eine von 40 Gruppen in Sachsen-Anhalt. Vor zwei Jahren ist sie ins Lebens gerufen worden. Früher sei er nach Weißenfels zur dortigen Selbsthilfegruppe gefahren. Er lacht verschmitzt: "Da war ich mit meinen damals knapp 20 Jahren ein junger Spund." Ein Grund, eine Selbsthilfegruppe für jüngere Menschen ins Lebens zu rufen. Arztbesuche müssen sein, weiß Röhricht. Die Selbsthilfegruppe ist für ihn eine wichtige Säule, wo er lernt, sich selbst zu helfen und zu verstehen. "Wir reden über Gott und die Welt", kommt Röhricht ins Plaudern. Über Politik, was in Hohenmölsen los ist, über die nächsten Ausflüge oder Feiern, über die Medizin und - naja, auch über MS. "Manchmal frotzeln wir, dass wir uns das Leben nehmen, wenn es ganz schlimm kommt. Aber wenn es ganz schlimm kommen würde, ist man als MS-Patient gelähmt. Dann kann man sich nicht mal mehr umbringen. Über so etwas können wir lachen. Es gibt eben Momente, da können wir alles nur noch mit Galgenhumor ertragen." Die gebe es zum Glück nicht so oft.

Mit dem Rad durch die Stadt

Thomas Röhricht redet nicht gern über den Tod. Er ringt dem Leben Schönes ab, auch wenn er den Haushalt nicht schmeißen kann.

Jeden Tag wartet er gespannt darauf, dass seine neunjährige Tochter aus der Schule kommt. Dann wird ausgiebig erzählt. Er geht gern spazieren, da muss er jedoch die Krücke benutzen. Tochter Julia weiß, warum. Oft ist er mit der Kamera unterwegs. Bei gutem Wetter fährt er mit seinem dreirädrigem Rad durch die Stadt. Seit rund einem Jahr ist er auch im Partnerschaftskreis Hohenmölsen-Bad Friedrichshall aktiv. Die hübsche Wohnung ist rollstuhlgerecht. "Ich bin vorbereitet", meint er. Pläne macht Thomas Röhricht nicht mehr. Es kommt, wie es kommt. "Vielleicht kann ich mich irgendwann gar nicht mehr bewegen. Aber daran kann ich nicht jeden Tag denken." Der 39-Jährige sieht seinen Gesprächspartner ruhig ins Gesicht: "Es geht schleichend abwärts. So ist das bei MS nun mal."