Sangerhausen Südwest Sangerhausen Südwest: Streetworker beklagt gefährliche Mutproben bei Kindern

Sangerhausen - Sven Pittner ist gerade mit dem Rad unterwegs, als es wieder passiert. Ein Auto fährt durch die zugeparkte Wilhelm-Koenen-Straße, zwischen den stehenden Fahrzeugen huscht plötzlich ein Kind vor und rennt blitzschnell über die Straße. Etwa fünf Gleichaltrige folgen sofort, der Autofahrer kann nur noch mit Mühe abbremsen, die Kinder entwischen unverletzt und lachend.
„So etwas kommt hier in Sangerhausen Südwest häufiger vor“, erzählt Pittner, der städtische Streetworker. Einmal ist er selbst Zeuge geworden, von dutzenden Vorfällen berichten die Anwohner. Es handelt sich um gefährliche Mutproben, schätzt er: „Die Kinder suchen die Grenzerfahrung, stürzen sich in lebensbedrohliche Situationen und wollen in ihrer Gruppe Stärke beweisen.“
Bisher scheint alles gut ausgegangen zu sein
Und das hat Folgen. Vor allem die Autofahrer seien verunsichert, weiß Pittner. Im Jugendzentrum Südwest, dem „Buratino“, sind die Mutproben oft genug Thema. Betreuer und Eltern erzählen davon, haben es gesehen und manchmal verrät sich ein Kind selbst. Der Streetworker weiß nicht, ob bisher Schlimmeres passiert ist.
Die Polizeistatistik führt keine Verkehrsunfällen mit Personenschaden in Südwest für die vergangenen Monaten. Bisher scheint alles glimpflich ausgegangen zu sein, sagt Polizeisprecher Heiko Prull. Und selbst wenn sich die Vorfälle in Südwest häufen würden: Eine Konzentration auf den Stadtteil sei in keiner Erhebung sichtbar. „Wir zählen die Fälle für ganz Sangerhausen und nicht nach Stadtteil“, so Prull.
Südwest ist der kinderreichste Stadtteil
Sven Pittner sieht in den Mutproben allerdings ein Phänomen der letzten Monate, das verstärkt in Südwest auftritt. Die Wohngegend will er nicht verteufeln. Doch die hohe Arbeitslosigkeit und ihre Folgen blieben wohl unübersehbar, findet er. „Südwest ist ein Brennpunkt“, zieht er sein Fazit.
Nach Schätzungen des Einwohnermeldeamtes handelt es sich um den kinderreichsten Stadtteil Sangerhausens. Eine aktuelle Erhebung spricht von etwa 560 Minderjährigen - Tendenz steigend. Pittner sieht einen Zusammenhang zwischen dieser Zahl und dem erhöhten Aufkommen an Kindern, die in Südwest nach Beschäftigung suchen.
Gerade in dieser Gegend herrscht reger Zuzug an Familien, da es hier die meisten Drei- und Vierraumwohnungen gibt. Noch vor wenigen Jahren galt der Stadtteil „Am Rosarium“ als Wohngebiet zahlreicher Familien mit geringem Einkommen. Mittlerweile hat sich dieser Fokus nach Südwest verlagert, was nicht nur an der Wohnungsgröße, sondern auch an den günstigen Mietpreisen liegt.
Müllcontainer sind beliebtes Versteck
Die Kinder, die hier leben, bräuchten wohl verstärkte Unterstützung, meint Stadtjugendpfleger Pittner. „Viele sind gerade in den Ferien oder nach der Schule den ganzen Tag draußen und suchen sinnvolle Beschäftigung“, versucht er das Problem der Mutproben zu erklären. Schon mehrmals habe er etwa Zehnjährige als Anstifter für jüngere Kinder ausmachen können: „Die Kleinen wollen einfach bei den coolen Großen dabei sein.“
Müllcontainer seien ein beliebtes Versteck, um Autofahrer zu erschrecken. Gelegentlich werden auch hohe Bäume für das Springen auf die befahrene Straße genutzt. „Viele Kinder haben nie gelernt, Gefahren einzuschätzen“, vermutet Pittner.
Jugendpfleger versuchen, Kindern Perspektiven aufzuzeigen
Das Jugendzentrum Südwest, genannt „Buratino“, gilt als einer der am meisten frequentierten Treffpunkte in Sangerhausen. Täglich sollen hier - vor allem in der Ferienzeit - mehr als 30 Kinder und Jugendliche ihre Zeit verbringen. Der Jugendclub wird von der Stadt betrieben, allerdings vom Verein „Madhouse“ geführt. Leiterin Bianca Ende stemmt den Club auch mit ehrenamtlichen Helfern. Derzeit sind hier auch einige Kinder mit Migrationshintergrund tägliche Gäste. Das „Buratino“ bietet im Jahresverlauf zahlreiche Aktionen an, es gibt mehrere Workshops, Ausflüge, Sommercamps und auch eine Fahrradwerkstatt. (mz/lwö)
In Südwest geht es aus seiner Sicht darum, die junge Generation aufzufangen. Das „Buratino“ sei hierfür eine wichtige Einrichtung, Leiterin Bianca Ende habe bereits gute Sozialarbeit geleistet, lobt der Stadtjugendpfleger. „Vor allem die riskanten Mutproben, aber auch das Verhalten einiger Jugendlicher untereinander stellt derzeit ein Problem dar“, sagt Pittner.
Ende und er seien in Sangerhausen bekannt, viele Jugendliche vertrauen ihnen. „Wir können nur versuchen zu helfen, wo es geht“, sagt Pittner, denn die Eltern der Kinder in Südwest ließen sich nur selten auf ein Gespräch mit den Sozialarbeitern ein, bedauert er. „Südwest ist und bleibt ein Stadtteil der Gegensätze und wir wollen für die Kinder das Beste rausholen.“ (mz)