Musikgeschichte Musikgeschichte: Begabtes Arbeitstier an der Orgel
SANGERHAUSEN/MZ. - Im Jahr 2007, zum Jubiläum 550 Jahre Jacobi-Kirche, wurde sie bei einer Ausstellungsvorbereitung auf Richard Julius Voigtmann aufmerksam. Denn schon der Stadtchronist Friedrich Schmidt wusste etwas mehr über diesen hoffnungsvollen Organisten zu berichten.
Richard Julius Voigtmann, Sohn eines Leinewebermeisters, kam im Oktober 1867 aus Delitzsch nach Sangerhausen, um hier als Lehrer und Organist an der Jacobikirche tätig zu sein. Der Zwanzigjährige hatte sich zuvor in einem strengen Auswahlverfahren gegen weitere 21 Bewerber durchsetzen können und trat hier seine erste Stelle an. Voigtmann hatte das Lehrerseminar in Eisleben abgeschlossen und galt als ein großes musikalisches Talent.
Am 1. Juni 1868 heiratete er in Sangerhausen die aus Quedlinburg stammende Gertrud List. Zu den 30 Wochenstunden an einer Sangerhäuser Schule kam seine Organistentätigkeit an St. Jacobi. "Hier entfaltete er eine beeindruckend vielfältige Tätigkeit", sagt Kantorin Martina Pohl. Sichtlich beeindruckt von der Leistung des jungen Organisten gingen sie und ihr Mann Michael Pohl, Domorganist i.R., auf Spurensuche. Besonders erfreut war man deshalb wenig später über die Notenfunde in der Notenbibliothek in Leipzig und in der Berliner Staatsbibliothek.
Die gefundenen Noten der Sonate über den Choral "Jesu, meine Freude", ein Concertstück c-moll op.3, Concert Phantasie über den Choral "Wie schön leuchtet der Morgenstern" op. 2 und Phantasie "Nun danket alle Gott" geben nur einen kleinen Einblick in sein Schaffen und Können. Sie wurden inzwischen von Michael Pohl neu herausgegeben.
Da Voigtmann für die Klangwelt einer romantischen Orgel komponiert hat, spielte Martina Pohl diese Werke an der Furtwängler &. Hammer / Noeske-Orgel der Auenkirche in Berlin-Wilmersdorf für die CD Deutsche Orgelromantik ein, die bei Kritikern bereits positive Resonanz erfuhr. "Das waren wir Voigtmann einfach schuldig", sagt Martina Pohl. "Er bekennt sich zur neudeutschen Schule, also dem Kompositionsstil Franz Liszt's und Richard Wagners, aber er kopiert sie nicht, sondern hat von Anfang an eine eigene Tonsprache. Seine Kompositionen sind qualitätsmäßig sehr gut. Schon bei den wenigen bekannten Stücken, zeigt sich eine unglaubliche Entwicklung in der Gesamtdramaturgie."
Nach vielen Recherchen kommt sie zu dem Schluss: "Voigtmann war unermüdlich tätig. Heutzutage könnte man sagen, er war ein Workaholic." Neben seiner Lehrertätigkeit gab er wöchentlich 20 private Musikstunden, die er in Briefen nach Delitzsch fein säuberlich auflistete. Er komponierte und schrieb Artikel für die bedeutendsten Musikzeitschriften seiner Zeit. Bereits im Jahre 1870 erschien in einem Leipziger Verlag von Voigtmann das Buch: "Das neuere kirchliche Orgelspiel im evangelischen Cultus". "Damit gibt er den besten Einblick in die Organistenpraxis seiner Zeit, die ich bisher kenne", sagt Martina Pohl. Aus dem Briefwechsel weiß sie, dass ein weiteres Buch "Der Choral in der evangelischen Kirche" in Vorbereitung war. Außerdem gab er viele Konzerte in Merseburg, Naumburg, Magdeburg und Breslau. Er war Mitglied des "Allgemeinen Deutschen Musik Vereins". Das gab ihm die Gelegenheit im Jahre 1872 auf dem Musikfest in Kassel seine Choralfantasie "Nun danket alle Gott" aufzuführen. "Dadurch wurde sogar Franz Liszt auf ihn aufmerksam und gewährte ihm Unterstützung beim Druck seiner Kompositionen", so Martina Pohl.
In Sangerhausen entstand während dieser Zeit sein größtes Werk: Das Oratorium "Barbarossa". Von jenem kam am 5. Februar 1873 im Saal des Hotels Denkewitz (heute Kylische Straße 50) der 1. Teil zur Uraufführung. Den Text dazu hatte der damalige Gymnasiallehrer Dr. Dannehl verfasst. Voigtmann hatte alles mit Laienkünstlern besetzt. Der Chor umfasste 60 Sänger, das Orchester waren ebenfalls 40 Laienmusiker. Die Titelrolle (Barbarossa) sang der damalige Bürgermeister Friedrich Albert Gottloeber. Kantor Otte übernahm den Erzbischof, der Organist Illner den Friedrich von Schwaben und die Frau Dannehl stellte die Hedwig und die Beatrice dar. Der Erfolg muss sehr groß gewesen sein. Musikdirektor Bernhard Vogel, der extra aus Leipzig angereist war, schreibt in seiner Kritik: "Die Musik zu Barbarossa stellt sich dar als das Erzeugnis eines hoch begabten Talentes, dem die Gabe verliehen ist, in ebenso charakteristischen wie volkstümlichen und bedeutenden Zungen zu uns zu sprechen."
Urplötzlich findet diese in ihrer Vielfalt beeindruckende Leistung ihr Ende. Julius Voigtmann erkrankt schwer an einem Lungenleiden und stirbt am 18. September 1874 im Alter von 27 Jahren 6 Monaten und 17 Tagen. Seine Beisetzung erfolgte am 21. September auf dem neuen Gottesacker. Die Stadt Sangerhausen widmete ihm im damaligen Kreisblatt einen ausführlichen Nachruf. Er hinterlässt die Witwe Gertrud Voigtmann und eine zweijährige Tochter, Hildegard Gertrud. "Die Witwe blieb vermutlich noch länger in Sangerhausen", sagte Frau Pohl. "Über Anzeigen versuchte sie mit Klavierunterricht und Näharbeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der Stadtrat verweigerte ihr die weiteren Bezüge mit der Begründung, sie mussten schon während der Krankheit ihres Mannes soviel Geld für die Vertretung ausgeben."
Geblieben sind der Musikwelt lediglich vier Werke für Orgel. Sein handschriftlicher Nachlass, in dem sich nicht nur sein Oratorium sondern viele weitere Kompositionen für Chöre und Solostimmen befinden, gilt als verschollen. "Aber die Suche geht weiter", sagt Martina Pohl. Bisher forschte sie vergeblich in vielen großen deutschen Bibliotheken und Archiven danach. Vielleicht finden sich in einem Sangerhäuser Nachlass noch Texte oder Noten des Oratoriums? Frau Pohl wäre dafür sehr dankbar.