Mansfeld-Südharz Mansfeld-Südharz: Gastfreundschaft gibt's mit oder ohne «h»
MORUNGEN/MZ. - Gestreift, gepunktet oder einfarbig: Die Fußbekleidung eines jeden ist das Markenzeichen schlechthin für die Morunger geworden. Ihrem Spitznamen "die Socken" wurden die Bewohner des kleines Dörfchens zum sechsten Sockenfest gerecht. Bereits die Einfahrt hin zum Festplatz war mit allerhand Damen-, Männer- und Kindersocken dekoriert.
Die Geschichte rund um die Socken und die alte Linde, wo diese immer ausgezogen und aufgehängt wurden, beschreibt geradezu das Morunger Heimatgefühl. Neugierig betrachtet die dreijährige Magdalena die kleine Linde vor dem Sockenhaus, an der allerlei Strümpfe hängen - keine schmutzigen, wie es die Geschichte erzählt. Wenn es zum Tanz in den "Kindlerschen Saal" ging, kamen die jungen Männer von weither, ungeachtet der schlechten Straßenverhältnisse. Doch die jungen Mädchen konnte man nicht etwa mit schmutzigen Schuhen und stinkenden Socken beeindrucken, erzählte Magdalenas Mutter, Anett Franke, ihrer Tochter die Geschichte. Kurzerhand wurden die guten, gewienerten Schuhe unters Sakko gesteckt und "alte Latschen und Socken angetreckt", wie es im selbst geschriebenen Gedicht von Marlis Mirwald heißt. "Socken an die Äste, Latschen darunter / Tanzschuh an die Füße und zum Fest hinunter", trug sie weiter vor.
Längst nicht nur zum Tanz wurde das in der Art praktiziert. Die Großmutter von Heimatvereinsmitglied Gabi Fiedler ging regelmäßig mit der Tragekiepe auf den Markt nach Sangerhausen, um Produkte zu tauschen. Von Horla ging es durch den Wald nach Morungen. An der großen Linde wurden dann selbstverständlich die Schuhe gewechselt. "Die Einwohner spenden ihre Socken gern fürs Fest", freute sich Ortsbürgermeister Hartmut Reinicke.
Die Gäste der polnischen Kreisgemeinschaft Mohrungen haben von so einem Brauch noch nie etwas gehört. "Aber es ist sehr interessant", fand Waldemar Manka. Er ist der Vereinsvorsitzende des "Vereins der deutschen Bevölkerung. Herder in Mohrungen" , dessen Ziel die Pflege der deutschen Sprache und Kultur ist. Herder gab den Anstoß, dass Polen eine eigene Kultur aufbaute. Eine Gemeinsamkeit stellte er am Samstag gleich fest: Die (Gast-)Freundlichkeit sei in Morungen mit und ohne h dieselbe. Er könnte sich sogar vorstellen, dass beide Orte in Zukunft einmal gemeinsame Wege beschreiten. Diese könnten beispielsweise auf der Erforschung der beiderseitigen Geschichte basieren.
Schon in der Mohrunger Ortschronik wird vermutet, dass um 1400 Leute aus Thüringen und dem Harz das Städtchen in Ostpreußen aufgebaut haben. Ordensritter sollen damals auch in Morungen für den Osten geworben haben, zum Beispiel mit Freibauerntum. "Die hatten dann keinen Lehnsherrn und mussten keine Steuern zahlen", erzählte die gebürtige Mohrungerin Elisabeth Krahn, die jetzt in Celle wohnt. Morungen ist für sie wie eine zweite Heimat, die sie mit der Seele erlebt, denn schließlich könnten aus dem Ort ihre Vorfahren stammen. 1945, mit neun Jahren, flüchtete sie aus dem ostpreußischen Ort. Beim Heimatkreis-Treffen zum Sockenfest wurden auch zahlreiche Erinnerungen über die Flucht ausgetauscht. Schließlich flohen damals alle einzeln, manche nach Deutschland, einige gar nach Amerika. "Es gab Gerüchte, die Rote Armee wolle uns Tabletten geben", erzählte Krahn in Erinnerungen versunken. Da war der Entschluss zur Flucht schnell gefasst. An einer Tankstelle stand der rettende Truck, den zuvor noch drei Franzosen reparierten. "Für die ersten 38 Kilometer haben wir neun Stunden gebraucht", entsann sie sich. Wie viele geflohen sind oder wie viele Morunger das polnische Mohrungen gegründet haben, ist bisher ungewiss und bedarf der Nachforschung.