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Mansfeld-Südharz Mansfeld-Südharz: Ein Räuber steigt aus

Von WOLFGANG KNAPE 09.11.2011, 19:07

STOLBERG/MZ. - Spannend ging es bei der Jahrestagung der Johann-Gottfried-Schnabel-Gesellschaft zu, die jetzt in Stolberg stattgefunden hat. Die Literaturfreunde waren nicht nur einem alten Kriminalfall auf der Spur, sondern verdanken einer in Harzgerode entdeckten Urkunde auch eine neue Erkenntnis darüber, dass der Autor der "Insel Felsenburg" eher gestorben ist, als die Wissenschaft bisher vermutet hat.

Zur Tagung hielt Christian G. Schnabel einen merkwürdigen eisernen Gegenstand in die Höhe. Auf der einen Seite hat er die Form eines kleinen Beiles, auf der anderen läuft er spitz aus und ähnelt einem Pfriem. Mit dem wolle man bei Bedarf die Pferdesättel reparieren, hatte einst der Auftraggeber dem Kleinschmied Johann Eling in der Kirchstraße in Lüneburg erzählt. - Das war 1698 und ist nun weit über dreihundert Jahre her!

Christian Schnabel, Pfarrer i. R., ist Mitglied der Schnabelgesellschaft und lebt inzwischen in Lüneburg. Auf eine Abbildung dieses Spezialwerkzeuges ist er in einer alten Schrift gestoßen. Die wurde von Magister Sigismund Hosmann verfasst. Hosmann war Prediger an der Stadtkirche zu Celle und nebenher auch für die zum Tode verurteilten Delinquenten im Stadtgefängnis zuständig. In seinem Werk befasste sich Hosmann ausführlich mit dem spektakulären Raub der "Güldenen Tafel" im Kloster St. Michaelis in Lüneburg durch den Nickel List. Der damals landauf, landab bekannte Meisterdieb raubte vor allem Kirchenschätze. Seinen größten Coup landete er in Lüneburg, wo er den in den Altar eingelassenen Reliquienschrank, die so genannte "Güldene Tafel", mit dem oben erwähnten Gerät herausbrach. Die Edelsteine wurden mit dem "Pfriem" gelockert.

Diebe in Greiz gefasst

Zuvor hatte Nickel List, der sich bei Bedarf auch Adelstitel zulegte und verkleidete, von seinen Kumpanen die Abdrücke der sechs Kirchenschlüssel beschaffen lassen. Anschließend stellte er in dem Gasthof, in dem er mit zwei "Dienern" und einer Frau abgestiegen war, die erforderlichen Nachschlüssel her. Als alles beisammen war, ging man rasch ans Werk, ohne dabei Spuren zu hinterlassen. "Nickel List kannte sich mit dem Kirchenjahr gut aus", sagte Christian G. Schnabel bei der Jahrestagung auf dem Stolberger Schloss. "Er wusste, dass nach dem Sonntag Estomih, dem Tag der Tat, der Klappaltar für die Dauer von sechs Wochen geschlossen bleiben würde." Der Zufall wollte es aber, dass ein Reisender Lüneburg besuchte und den aus dem 10. Jahrhundert stammenden güldenen Schrein besichtigen wollte. Der Diebstahl wurde entdeckt. Die Räuberbande war freilich schon mit ihren Koffern, den Steinen und etlichen Kilogramm Gold über alle Berge. Weil aber die Wirtin beim Wischen unterm Bett noch ein Goldplättchen im Lappen fand, ahnte sie, dass der Freiherr mit der Allongeperücke ein Hochstapler gewesen war.

Nach den Räubern wurde überall gefahndet. In Greiz wurde man ihrer habhaft. Die Überführung nach Celle erfolgte unter strengster Bewachung. Dort fand nach Folter und Verhören die Hinrichtung der Bande statt. Nickel List wurde wegen seines "treuen und offenherzigen" Bekenntnisses von der "Zerschmetterung der Glieder" mittels des Rades verschont. Bei ihm kam die eiserne Keule zum Einsatz. Er wurde von unten auf mit acht Schlägen zerschmettert, ihm noch lebend der Kopf mit dem Beil abgehauen, selbiger auf einen hohen Pfahl genagelt, der todte Körper aber auf einem Scheiterhaufen zu Pulver verbrannt", heißt es auf einer Gedenktafel.

Ein Bandenmitglied fehlte freilich: Lorentz Schöne aus Magdeburg, der dem Räuberhauptmann Nickel List als Schlosser zur Hand gegangen war. Schöne hatte sich für den Ausstieg entschieden und sein Leben damit gerettet.

Morgenthals Lebensgeschichte

Diese Geschichte kam nun wiederum Christian G. Schnabel irgendwie bekannt vor. Er trat vor seine Bücherwände und blätterte in dem 1997 im Verlag Zweitausendundeins erschienen Neudruck der "Wunderlichen Fata einiger See=Fahrer", der "Insel Felsenburg". Im zweiten Teil stieß er auf die Lebensgeschichte von Peter Morgenthal, der wie Lorentz Schöne aus Magdeburg stammte, unter seinem Stiefvater eine leidvolle Kindheit durchlebt hatte und in Querfurt auf einen Hochstapler gestoßen war, der ihn in weiser Voraussicht das Schlosserhandwerk lernen ließ. Schnabel hat Sigesmund Hosmanns Schrift über den Raub der "Güldenen Tafel" in Stolberg gelesen und den Kriminalfall mit der Person von Peter Morgenthal in seinem Roman verankert.

Den auf Felsenburg glücklich gewordenen Aussteiger Morgenthal erwähnte auch Hans Bierfreund in seiner 1964 verfassten Schrift über den Dichter Schnabel und sein Hauptwerk, die "Insel Felsenburg". Hans Bierfreund war von 1932 bis 1957 als Lehrer und Rektor in Sandersdorf bei Bitterfeld tätig gewesen. Die Broschüre über Schnabel schrieb er in Riestedt. Dort hatte der 1966 verstorbene Lehrer und Schnabelforscher die letzten Lebensjahre bei seiner Tochter Martha Schlenstedt verbracht, dort ist sein Grabstein inzwischen in eine Gartenmauer eingefügt worden.

Johann Gottfried Schnabel wurde am 7. November 1692 im Pfarrhaus zu Sandersdorf geboren. Erst seit 1891 kennt man allerdings Geburtsort und -datum. Sterbejahr und -ort sind hingegen bis heute unbekannt. Einige Forscher geben die Zeit nach 1751 oder 1758 an, manche vermuteten sogar einen noch späteren Zeitpunkt.

Lehrbrief aus der Apotheke

Gerd Schubert weiß es inzwischen besser! In der 350 Jahre alten Berg-Apotheke in Harzgerode hat der Vorsitzende der Schnabelgesellschaft eine unglaubliche Entdeckung machen dürfen: Während der Jahrestagung am Wochenende (auf der noch eine Vielzahl anderer spannender Forschungsbeiträge zur Diskussion gestellt wurden), überraschte er die Teilnehmer mit einem schön verzierten Lehrbrief für Johann Gottfried Ludewig Schnabel, "des seel. Johann Gottfried Schnabels gewesenen HoffAgentens (.) in Stolberg eheleiblicher vierter Sohn"! Das vom Apotheker Mädtke ausgestellte Schriftstück stammt vom 4. April 1748. Da war der Verfasser der "Insel Felsenburg" also bereits tot. Schubert vermutet jetzt, dass Schnabel bereits vor 1745 gestorben sein könnte. Die Schnabelforschung hat nun, was das Biographische angeht, einen ganz neuen Ansatz.