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Heimatgeschichte aus Stolberg Heimatgeschichte aus Stolberg: Was eine Schatulle erzählt.

Von Wolfgang Knape 29.01.2016, 12:10
In der Sonderausstellung zum 800-jährigen Bestehen des Stolberger Fürstenhauses gab es einen kurzen Text zur Geschichte der Schatulle.
In der Sonderausstellung zum 800-jährigen Bestehen des Stolberger Fürstenhauses gab es einen kurzen Text zur Geschichte der Schatulle. Wolfgang Knape Lizenz

Stolberg - 2010 konnte das „Haus Stolberg“ auf eine 800-jährige stolze Geschichte zurückblicken. Aus diesem Anlass wurde in den bereits restaurierten Räumen des Schlosses eine eindrucksvolle Ausstellung eröffnet, von der noch heute manches zu sehen ist.

Wolfgang Knape, 1947 in Stolberg geboren, studierte Bibliothekswesen und absolvierte das Institut für Literatur „Johannes R. Becher“. Seit 1981 lebt er als freiberuflicher Schriftsteller in Leipzig.

Viele der damals präsentierten Exponate waren bei der Flucht der fürstlichen Familie Anfang Juli 1945 mitgenommen worden und kehrten nun erstmals an ihren angestammten Platz zurück. In einer unscheinbaren Vitrine war eine mit metallenen Jagdmotiven und Eichenblättern verzierte Schatulle zu sehen, die es 1945 allerdings noch nicht gegeben hatte. Ein kleines Schildchen lieferte die notwendige Erklärung. Die fehlt heute. Deshalb sei die Geschichte der Schatulle an dieser Stelle kurz erzählt:Am 22. Januar 1933 hatte der Stolberger Fürst Wolff-Heinrich das Fräulein Erfert aus Magdeburg geheiratet. 1958 stand also die Silberne Hochzeit des im Westen lebenden Paares bevor. Das war für einige Stolberger und vor allem für ehemalige Bedienstete, so sie noch im Ort lebten, ein wichtiger Anlass, um sich mit einem Glückwunsch in Erinnerung zu bringen.

Silberhochzeitsgrüße per Radio

Ein hiesiger Schlossermeister, der als Kraftfahrer auf dem Schloss gearbeitet hatte, erklärte sich bereit, eine Schatulle anzufertigen, wie sie der Fürst liebte. Ein Maurer, der bis zu seinem Einzug zum Militär als Kammerdiener angestellt war, suchte jene auf, von denen er annehmen konnte, dass sie sich an der Glückwunschaktion beteiligen und einen Obolus beisteuern würden. Die Schatulle gelangte auf Umwegen nach Westdeutschland und wurde am Tag der Silberhochzeit als Geschenk der Stolberger in Braunlage überreicht. Das Paar hatte sich dort im „Braunen Hirsch“ eingemietet, um der alten Heimat möglichst nahe zu sein.

Im Stolberger Schloss finden an jedem Wochenende Führungen statt: freitags um 20 Uhr und samstags um 14 Uhr. Treffpunkt ist der Innenhof des Schlosses, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Weitere Termine, auch für Gruppen, können nach Absprache gebucht werden. Informationen beim Kommunalen Eigenbetrieb Südharz, Telefon 034654/4 54 oder E-Mail an [email protected]

In Stolberg herrschte an diesem Tag eine besondere Stimmung. Es lag etwas in der Luft, und auch ein Viertklässler wie ich bekam das irgendwie mit. Die Leute standen in kleinen Gruppen beieinander und unterhielten sich freudig erregt. Am frühen Abend saßen meine Mutter und eine Nachbarin mit ihrem Stopfzeug unter der Lampe und lauschten einer Wunschsendung vom Nordwestdeutschen Rundfunk. Und dann hörten wir den Sprecher aus Hamburg sagen: „Jetzt grüßen die Stolberger in der Ostzone ihr Fürstenpaar zur Silberhochzeit!“ Da ließen meine Mutter und die Nachbarin ihre Stopfpilze gleichzeitig sinken und wischten sich die Tränen weg. Es folgten drei volkstümliche Lieder. Franz von Schobers „Ich schieß' den Hirsch im wilden Forst/im tiefen Wald das Reh!“ war auch dabei.

Am Abend war „Singestunde“ im „Weißen Ross“. Gegen zehn Uhr klingelte das Telefon, und Ernst Ehrhardt holte einige Männer an den Apparat. Aus Braunlage rief der Fürst unter dem Decknamen Eichhorn an, um sich zu bedanken. Nach den kurzen Gesprächen kehrte einer nach dem anderen tiefbewegt an seinen Platz zurück…

Warum sich die Volkspolizei dann einschaltete, lesen Sie auf Seite 2.

Befragungen durch Volkspolizei

Die Hochzeit blieb noch lange Stadtgespräch. Mehr oder weniger hinter vorgehaltener Hand. Im Februar gelangten die Danksagungen des Fürstenpaares nach Stolberg und wurden hier rumgereicht und verteilt. Gegen Ende des Monats fanden erste Befragungen durch die Volkspolizei (VP) statt. Es folgten Ermittlungsberichte. Schließlich Vernehmungen der „Beschuldigten“, womit der Initiator der Glückwunschaktion sowie der Kunstschlosser und seine Frau gemeint waren. Haussuchungen fanden statt. Bei einer Familie wurden laut Protokoll „Quick und Bunde“ gefunden. Ein Bild vom Fürsten. „Bücher und Schundliteratur“, ein Flugblatt des Ostbüros der SPD...

Wolfgang Knape, 1947 in Stolberg geboren, studierte Bibliothekswesen und absolvierte das Institut für Literatur „Johannes R. Becher“. Seit 1981 lebt er als freiberuflicher Schriftsteller in Leipzig.

Die Schlinge begann sich zuzuziehen. Plötzlich stand der Vorwurf des Sammelns und Weitergebens von Nachrichten im Raum. Man habe im Januar, „als Täter handelnd, zu einer Person wissentlich Verbindung aufgenommen […], obwohl diese gegen die Arbeiter- und Bauernmacht tätig ist“, vermerkte ein Vernehmer. „Da Fluchtverdacht sowie Verdunklungsgefahr vorliegt und es sich um ein Verbrechen handelt, ist der Erlass der Haftbefehle gerechtfertigt“, befand der Kreisstaatsanwalt. Für beide Männer wurde sofort Untersuchungshaft angeordnet. Wochen später erfolgte die Verhaftung der Frau. Was zu Jahresbeginn so harmlos und freudig begonnen hatte, war nun in ein politisches Fahrwasser gezerrt worden, aus dem es kein Entrinnen gab. Der Prozess fand Anfang November in Halle statt. Von den geladenen Zeugen hatten einige ebenfalls Glückwünsche geschickt, andere hatten sich am Geschenk beteiligt. Der eine und der andere, so der ehemalige Hofbuchdrucker, der Revierförster und der Kirchendiener, wurden vom Staatsanwalt mit abfälligen Bemerkungen bedacht, die dieser Zeit eindrucksvoll den Spiegel vorhalten.

Der 1879 geborene Torwächter Fritz Dorl war nicht erschienen. Der Vorladung könne er „unmögliche Folge leisten“, teilte er dem Gericht mit und führte sein schlimmes Herzleiden sowie starke Schwerhörigkeit an, „die es mir unmöglich macht, einer Verhandlung zweckdienlich zu folgen“. Sein behandelnder Arzt bestätigte das und riet von der Teilnahme an „eine(r) längere(n) Gerichtsverhandlung dringend ab“. Der Gärtner Willy Hupe, der fünf Mark gespendet hatte und nach Namen auf der Liste gefragt wurde, antwortete: Die halbe Seite sei voll mit Unterschriften gewesen. „Irgendwelche Namen habe ich aber nicht erkannt. Da ich keine Brille aufgesetzt hatte.“ Das Urteil wurde am 8. November verlesen. „Wegen fortgesetzter Übermittlung von Nachrichten an verbrecherische Organisationen und wegen fortgesetzter Anstiftung und Beihilfe zur Verbindungsaufnahme zu verbrecherischen Organisationen in Tateinheit mit staatsgefährdender Propaganda und Hetze…“ wurden der Kunstschlosser zu drei, der Initiator der Glückwunschaktion zu zwei Jahren Zuchthaus und die Frau des Ersteren zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.

Einwohnerversammlung in Stolberg

Die 23 Seiten lange Urteilsbegründung liest sich stellenweise wie aus den Instruktionen für das Parteilehrjahr abgeschrieben. Der Verteidiger der Drei war zur Urteilsverkündung nicht mehr erschienen. Er wusste wohl schon im Voraus, dass alles längst entschieden und nichts mehr zu retten war.

Im Stolberger Schloss finden an jedem Wochenende Führungen statt: freitags um 20 Uhr und samstags um 14 Uhr. Treffpunkt ist der Innenhof des Schlosses, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Weitere Termine, auch für Gruppen, können nach Absprache gebucht werden. Informationen beim Kommunalen Eigenbetrieb Südharz, Telefon 034654/4 54 oder E-Mail an [email protected]

Das Urteil trat zwei Wochen später in Kraft. Die „Freiheit“ berichtete am 21. November über den Prozess. Für Stolberg hatte man die öffentliche Bekanntgabe des Urteils in einer Einwohnerversammlung vorgesehen, um, wie es hieß, „die erzieherische Wirkung des Urteils auf weitere Stolberger Einwohner und dort noch befindliche Anhänger des Fürsten von dazumal auszudehnen“. (mz)

Jost Christian zu Stolberg-Stolberg gibt mit privaten Stücken - hier beim Aufbau einer Wildwaage - einen Einblick in das frühere Leben im Stolberger Schloss, in dem sich seine Eltern 1933 das Jawort gaben.
Jost Christian zu Stolberg-Stolberg gibt mit privaten Stücken - hier beim Aufbau einer Wildwaage - einen Einblick in das frühere Leben im Stolberger Schloss, in dem sich seine Eltern 1933 das Jawort gaben.
Archiv/Steffi Rohland Lizenz