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Geschichte im März 1945 Geschichte im März 1945: Rätselhafter Flugzeugabsturz im Südharz

Von Stefan Schäfer 12.09.2014, 08:07
Eine solche Halifax stürzte über Wippra ab. Bis auf ein Besatzungsmitglied überlebte niemand den Aufprall aus großer Höhe.
Eine solche Halifax stürzte über Wippra ab. Bis auf ein Besatzungsmitglied überlebte niemand den Aufprall aus großer Höhe. privat Lizenz

sangerhausen - Im März 1945 stürzte ein britischer Halifax-Bomber mit der Seriennummer NP799 im Südharz bei Sangerhausen ab. Bis heute ist dieser Absturz nahe Wippra kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges rätselhaft und von der Öffentlichkeit eher unbeachtet. Ein Grund für eine Spurensuche in Archiven, die den Nebel der Geschichte lichten.

Stefan Schäfer sammelte in seiner Kindheit beim Holzfällen im Wald bei Wippra Wrackteile des mysteriösen Flugzeugs. Das Schicksal der Piloten und Neugierde weckten seinen Forscherdrang. Sein Großvater erzählte spannende Geschichten zu dem Thema. Nach über 20 Jahren weiß er nunmehr, was kurz vor dem Kriegsende mit der NP799 passierte. Mit Hilfe von Renè Siegert aus Chemnitz ist es gelungen, Erkenntnisse über den Absturz und die Besatzung zu gewinnen. Doch die Suche geht weiter, über Material, Unterstützung und sachdienliche Informationen wäre Stefan Schäfer dankbar. Bedanken möchte er sich ausdrücklich bei Monika Rauhut, René Siegert und Detlef Cebulla.

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Am 5. März 1945 herrschte auf der Flugbasis der Royal Air Force (RAF) in Linton-on-Ouse unweit von York in England hektische Betriebsamkeit. Das Wetter an diesem Wintertag war mies, dunkle Wolken zogen über die Insel und der Wind pfiff um die Baracken des Flugfeldes – ideale Startbedingungen sahen anders aus.

Unterstützung für Rote Armee

Den widrigen Witterungsbedingungen zum Trotz machten sich unter anderem auch Bomber der Royal Air Force und der Royal Canadian Air Force (RCAF) bereit. Der Einsatzbefehl im Wege der „Operation Thunderclap“ hatte für die Besatzung der Halifax NP799 die deutsche Industriestadt Chemnitz zum Ziel. Die Bomber sollten der Roten Armee, die von Osten her auf das Deutsche Reich vorrückte, durch gezielte Bombardierung den Weg zur Einnahme der Stadt ebnen. Die Flieger des Geschwaders waren bis zu jenem Einsatz schon an diversen Kämpfen beteiligt, unter anderem in der Normandie, den Ardennen, Berlin und Dresden. Doch jener kalte Märzabend sollte für einige der sieben Besatzungsmitglieder der letzte sein.

In Linton-on-Ouse machte sich an jenem 5. März 1945 auch die Crew der viermotorigen Halifax NP799 für ihren Einsatz bereit. Der junge Pilot, Flight Lieutenant John Kirkpatrick aus Red Deer Alberta, war guter Dinge, sein Navigator, Flying Officer Robert Fennel, und der Funker Jack Larson aus Montreal verließen sich dabei wie immer auf ihren Captain. Für den gezielten Abwurf der insgesamt acht 500-Pfund-Bomben war Bud Stillinger verantwortlich, und um die Browning-MGs kümmerten sich die beiden Schützen Harry Denison im oberen Rumpfturm und sein Kamerad Roald Gunderson im Heck des Bombers. Alle sechs waren Kanadier. Der Flug Ingenieuer Ian Giles bildete als Brite (Schotte) die einzige Ausnahme an Bord. Die Männer hatten ein Durchschnittsalter von 20 Jahren.

Operation Thunderclap

Bei der Operation Thunderclap starteten rund 760 Bomber aus mehreren Staffeln in Richtung Chemnitz; 40 Maschinen gingen dabei verloren. Doch das ein oder andere Flugzeug sollte nicht einmal England verlassen: Das 426. Schwadron verlor allein beim Start drei Maschinen. Zunächst dachte man an Sabotage, doch es stellte sich rasch heraus, dass in einer Flughöhe von 1 500 Metern die Tragflächen vereisten und die Bomber wie Steine zurück zur Erde stürzten. Ein Flieger schlug sogar direkt in York ein.

Die Crew der Halifax NP799 erfuhr von den Komplikationen über Funk und rollte pünktlich um 16.45 Uhr auf die Startbahn. Direkt vor ihnen war eine Maschine kurz hinter dem Rollfeld abgestürzt, doch John Kirkpatrick zeigte sich unbeeindruckt und meinte über Funk: „Ready to take off!“. Die Sonne war noch nicht ganz verschwunden und so schimmerte die NP799 nach ihrem erfolgreichen Start noch ein wenig am Abendhimmel, bevor sie sich in den langen Bomberstrom in Richtung Deutschland einreihte. Über der Nordsee verzogen sich die Wolken und der Abend wurde sternenklar. Doch die eigentliche Herausforderung lag noch vor ihnen: feindliche Flugabwehrgeschütze, korrekte Navigation und die Gefahr der sogenannten Nachtjäger.

Auf der nächsten Seite geht es mit dem rätselhaften Flugzeugabsturz weiter.

Obwohl die Deutsche Luftwaffe 1945 wortwörtlich nahezu am Boden lag, stiegen in der Dunkelheit spezialisierte Nachtjagdgeschwader (NJG) auf, die überwiegend aus Maschinen wie der Junkers Ju 88 oder der Messerschmidt Bf 110 bestanden, und machten gezielt Jagd auf Bomber der RAF. Diese Taktik machte sich durchaus bezahlt.

Bei einer Fluggeschwindigkeit von rund 400 Kilometer pro Stunde verlief an Bord der NP799 bislang alles nach Plan. Theoretisch konnte der Flieger mit dem Einheitscode OW-J insgesamt 2 000 Kilometer zurücklegen, doch dazu sollte es an jenem kalten Abend nicht mehr kommen. Mitten über dem Deutschem Reich erschütterte plötzlich eine Explosion die Maschine und Sergeant Denison zuckte zusammen, als das Plexiglas seines Geschützturmes zerbrach und ihm einen tiefen Schnitt vom Ohr bis zum Kinn zufügte – seinen Fallschirm bekam er nicht mehr zu fassen. Von dort an konnte er sich an nichts mehr erinnern – Blackout. Aus sage und schreibe 6 000 Metern Höhe raste Harry Denison eingeklemmt in einem Teil des Rumpfes feindlichem Gebiet entgegen und kam erst nach sechs oder sieben Stunden wieder zu sich (dies brachte ihm später unter anderem einen Eintrag in das Guinnes-Buch der Weltrekorde). Als er die Augen wieder öffnete, sah er dichtes Schneetreiben vor sich und der 20-Jährige hing noch immer im Flugzeugrumpf. Seine Kameraden, geschweige denn andere Wrackteile, konnte er nicht entdecken und er wusste nicht, wo er überhaupt war.

Sonnenaufgang im Unterholz

Der verwundete Sergeant kroch bei Sonnenaufgang im Unterholz, welches heute als die „Kreuzbuchen“ bekannt ist, aus dem Wrack und torkelte einen verschneiten Waldweg entlang zu einem Bachlauf, bei dem es sich um die Wipper handelte. Seiner ersten Vermutung nach befand er sich im Schwarzwald, da um ihn herum nur dichte Mischwälder zu sehen waren. Beim Versuch, etwas zu trinken, verlor er wieder das Bewusstsein und fiel in die Wipper. Kurze Zeit später wurde er von russischen Gefangenen entdeckt, die in der Nähe Holz fällten. Sie brachten ihn in ihr Lager, das sich als Abteilung 5/145 des Reichsarbeitsdienstes „Heinrich von Morungen“ in Wippra im Südharz herausstellte. Dort wurde er gefangen genommen und im Krankenhaus in Eisleben über einen Monat ärztlich versorgt. Neben Schnittwunden und Blessuren trug er eine leichte Kopfverletzung und einen Rippenbruch davon. Nach seiner Genesung wurde Denison in ein Gefangenlager bei Frankfurt/Main überführt und schrieb am 20. April 1945 eine Postkarte an seine Eltern. Nach mehreren Gewaltmärschen, die den Vormarsch der Alliierten als Ursache hatten, wurde er schließlich in Bayern von Amerikanern aufgelesen und kehrte am 5. August 1945 nach Kanada zurück. Seine Postkarte kam dort im Oktober 1945 an.

Sergant überlebt Absturz

Sergeant Harry Denison war der Einzige, der den Absturz der NP799 überlebte. Pilot, Lieutenant John Kirkpatrick, Flying Officer Bud Stillinger (aus Norwood, Manitoba), Petty Officer Jack Larson, Robert Fennel (aus Toronto) und Roald Gunderson kamen in der Halifax ums Leben. Sie alle wurden auf dem Berlin War Cemetery, dem Britischen Soldatenfriedhof in Berlin/Charlottenburg, beerdigt. Das Grab von John „Jack“ Kirkpatrick befindet sich im Abschnitt 9.B.10. an der Heerstraße. Der aus Schottland stammende Ian Giles wird bis heute vermisst. (mz)

Die Besatzung des abgestürzten Flugzeugs.
Die Besatzung des abgestürzten Flugzeugs.
privat Lizenz