Bürgermeisterin mit 80 Bürgermeisterin mit 80: Mathilde Kamprad ist seit 55 Jahren für ihren Ort Winkel aktiv

Winkel - Holz knistert im kleinen Ofen. Seit DDR-Tagen verbreitet er zuverlässig an allen Tagen, an denen er im Winkeler Gemeindebüro gebraucht wird, seine wohlige Wärme. Den Schränken sieht man an, dass sie bereits viele Jahrzehnte dazu dienen, die Akten und Formulare aufzubewahren, die in irgendeiner Weise mit dem kleinen Ort am Rande des Landkreises zu tun haben. Sie sehen keineswegs alt und schäbig aus. Nein, sie wirken sehr intakt, aber etwas antik.
Vor einem Flachbildmonitor sitzt Mathilde Kamprad und tippt etwas. „Das muss ich noch schnell aufschreiben. Das muss nämlich heute noch abgeschickt werden.“ Wie man damit umgeht, habe sie sich von jemandem erklären lassen, der wie vorher wenig Ahnung gehabt habe. Das sei besser. „Mein Sohn hat immer mit dem Kopf geschüttelt. Dem habe ich es nicht schnell genug kapiert“, sagt sie. Dabei interessiert sie sich als Ortsbürgermeisterin durchaus für die moderne Technik. Dass eine 50-Megabit-Leitung in Winkel verlegt wird, darum hat sie sich gekümmert. Mit 80 Jahren.
Mathilde Kamprad ist mit 80 Jahren noch als Ortsbürgermeisterin tätig
Doch trotz des Alters: Die Bezeichnung Seniorin will auf sie nicht so recht passen. Das Zeitungsfoto zum 75. Geburtstag könnte man direkt noch einmal verwenden, sie hat sich in diesen fünf Jahren nicht verändert. Die Arbeit auf der Gemeinde scheint ein Jungbrunnen für Mathilde Kamprad zu sein und sie in jeder Hinsicht fit zu halten.
Am 1. März vor 55 Jahren trat sie ihren Dienst für Winkel an. Sie wurde vom damaligen Bürgermeister Harry Coccejus eingestellt - als Sachbearbeiterin für Landwirtschaft zunächst. Später war sie für die Finanzen zuständig. Da arbeitete sie auf dem Amt in Wolferstedt. Seit der Wiedervereinigung ist Kamprad jedoch vor allem für ihr Winkel im Einsatz. Sie wurde Bürgermeisterin, zuerst als Ersatz und dann bei der ersten demokratischen Wahl mit überwältigender Mehrheit gewählt.
Mathilde Kamprad ist fast täglich im Gemeindebüro
Das Telefon klingelt. Mathilde Kamprad hebt ab. „Gemeinde Winkel“, meldet sie sich. So, wie sie es sagt, hört es sich irgendwie nach „Mein Winkel“ an. Und irgendwie ist das wohl auch so. Winkel und Mathilde Kamprad sind eine untrennbare Einheit geworden über die Jahrzehnte. Deshalb ist sie auch jetzt - obwohl sie eigentlich schon längst im Ruhestand ist - noch immer fast täglich auf der Gemeinde.
Dabei stammt die kleine Frau mit dem schwarzen Haarschopf gar nicht aus Winkel, sondern aus Lodersleben, wo sie 1938 in einfachen Verhältnissen geboren wurde. Ihr Vater starb zeitig. Gemeinsam mit ihrem Bruder wuchs sie bei der Mutter und dem Großvater auf. Sie ging im Winter in Stellung, wie das damals üblich war, und arbeitete im Sommer in Lodersleben in der Landwirtschaft. Beim Tanz lernte sie schließlich ihren Mann kennen. 1960 wurde geheiratet. Vier Kinder kamen - zwei Mädchen und zwei Jungen. Mittlerweile seien sie alle gestandene Leute, wie Mathilde Kamprad stolz berichtet.
Mathilde Kamprad ist es gewohnt, anzupacken
Natürlich gab es Tage, an denen sie nicht im Gemeindebüro war. „Ich hatte ja auch mal Urlaub, obwohl ich das gar nicht so sehr brauche. Aber ich finde es interessant, mir andere Orte anzusehen, was die so über die Jahre aus sich gemacht haben“, sagt sie mit einem Lachen. Auch im Urlaub ist sie offenbar ganz Ortsbürgermeisterin. „Es macht mir einfach wahninnig Spaß, hier zu arbeiten.“
Auch mit 80 noch. „Klar, es kann sein, dass vielleicht mancher sag: ,Die alte Glucke soll doch lieber daheimbleiben..’“ Aber das könne sie nicht: die Hände in den Schoß legen und warten. Worauf auch? Sie sei es gewohnt, selbst anzupacken. „Man muss immer selbst ein Zugpferd sein, dann schließen sich auch die anderen an“, ist ihr Ratschlag an jüngere Kommunalpolitiker.
Mathilde Kamprad wünscht sich mehr Kinder im Ort Winkel
Und fast jeder ist jünger als sie, auf jeden Fall im Allstedter Stadtrat, in dem sie ebenfalls aktiv mitarbeitet. Das ist an und für sich kein Problem für sie, wohl aber die Tatsache, dass Winkel selbst immer älter wird. „2018 kann ich zu 17 Geburtstagen gehen“, sagt sie. Ab dem 75. Geburtstag kommt die Ortsbürgermeisterin zum Gratulieren. „Wenn wir nur mehr Kinderwagen im Ort hätten“, seufzt sie. „Ich hätte gern wieder ein bisschen mehr Leben im Ort.“ Aber sie schränkt gleich ein: Die Winkeler seien eigentlich alle bis ins hohe Alter fit.
„Ich würde mich immer wieder genau so entscheiden und immer wieder genau dieses Leben wählen“, sagt Kamprad, die noch lange nicht daran denkt, morgens nicht mehr in ihre Gemeinde zu gehen. In Winkel würden alle zusammenarbeiten, aber einer müsse den Hut aufhaben und dranbleiben.
Und manchmal sei es auch nötig, seine Akten zu nehmen, nach Magdeburg zu fahren und für seine Sache zu kämpfen. Und so wie Mathilde Kamprad das sagt, sieht es ganz danach aus, als sei die Aktentasche für den nächsten Einsatz für Winkel schon gepackt. (mz)