Adventskalender Adventskalender: Der Glöckner von Sangerhausen

Sangerhausen - Am Anfang steht eine Sage. Demnach lebte einst Bürgermeister Brell in Sangerhausen. Dieser war mit Bürgermeister Gebigke derart zerstritten, dass nur der Tod die Streithähne trennen konnte.
Nach ihrem Tod hörten die Bürger Waffengeklirr und Kampfesrufe aus der Ulrichkirche, sobald die Dunkelheit hereinbrach.
Als eines Abends der Küster die Turmuhr aufziehen wollte, erblickte er mit Entsetzen die Geister der Verstorbenen im Kampf miteinander.
Erst nachdem die Ratsherren von außen eine Tür in den Turm brachen und den inneren Verbindungsweg vom Schiff vermauerten, hörte niemand mehr von Kämpfen.
Türmerwohnung bis 1914 bewohnt
Noch heute kann man diese Tür an der Westkirche in Sangerhausen sehen. Einfaches Holz, keine Verzierung und deswegen mutet sie eben eher wie ein Hintereingang an.
Aber dahinter verbirgt sich das Innenleben der Ulrichkirche - und der Weg hinauf zur ehemaligen Türmerwohnung.
68 Stufen muss der Besucher zunächst auf einer engen Spindeltreppe aus dem 18. Jahrhundert besteigen. Helmut Loth vom Geschichtsverein Sangerhausen ist diese Treppe schon Hunderte Male emporgestiegen.
„Das muss auch damals für die Türmer ganz schön anstrengend gewesen sein“, sagt er. „Bis ins Jahr 1914 hinein war der Turm noch von einem Türmer bewohnt.“
Türmer sollten Bürger vor Gefahren warnen
Bis zur Wohnung selbst sind es insgesamt 127 Stufen. Von dort kann man dann die Blicke schweifen lassen, in der Ferne erkennt man das Kyffhäusergebirge, Blankenheim oder den Südrand des Harzes. Der Ausblick hier oben dürfte allerdings einer der wenigen Vorteile dieser ehemaligen Wohnung sein.
„Türmer hatten die übliche Aufgabe, die Bürger der Stadt vor Gefahren wie herannahenden Feinden oder Feuer zu bewahren“, erklärt Loth. Doch das waren nicht alle Aufgaben des Türmers, der mit seiner Familie hoch oben über der Stadt wohnte.
Türmer spielten schon seit jeher eine große Rolle. Im Mittelalter hießen die auf den Kirchtürmen wohnenden Menschen noch Stadtpfeifer und bildeten besondere Zünfte, die städtische Subventionen genossen.
„Dafür verpflichteten sie sich auch, das Orchester zu den Kirchenmusiken zu stellen“, sagt Loth. Die erste Erwähnung eines Türmers - namentlich Christian Erff - in der Ulrichkirche war im Jahr 1594.
Vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1845 musste der Hausmann - wie der Türmer auch hieß - jeden Sonntag abwechselnd in der Jacobi- und Ulrichkirche einmal Kirchenmusik aufführen, an Festtagen viermal.
Große Glocke als Warnsignal
Bis 1848 musste er auch an jedem Mittwoch und Samstagvormittag, 10 Uhr, sowie im Sommer abends um 21 Uhr einen Choral mit zwei Waldhörnern und morgens um 4 Uhr mit einer Klarinette oder Oboe vom Turm blasen.
Zudem hatte er am Tag nach jedem Stundenschlag und in der Nacht nach jeder Viertelstunde mit dem kleinen Horn das Sicherheitssignal aus den drei Fenstern nach Westen, Norden und Osten zu geben, bei Feuer in der Stadt musste er mit der großen Glocke das Sturmzeichen läuten.
Zudem musste er mehrmals am Tag anschlagen, um 4 Uhr morgens auch das Morgenläuten. „Wenn man das so liest und hört, hat man unglaublichen Respekt vor den Leistungen dieser Menschen. Das kann man sich gar nicht mehr vorstellen“, sagt Loth.
Eine Ecke in einem Holzpfeiler ist das einzige, was in der Wohnung heute noch an das damalige Leben erinnert. „Hier muss das Bett gestanden haben“, sagt Loth.
„Bis 1945 war die Stadt Sangerhausen für die Einstellung und Bezahlung der Türmer auf St. Ulrich und St. Jacobi zuständig“, sagt Loth.
„Das galt ebenso für die bauliche Erhaltung der Türmerwohnungen und der Kirchtürme vom Bereich der Glocken bis zur Kirchturmspitze.“
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Nicht in der Kirche, sondern „nur“ in ihrer Nähe wohnte übrigens der Küster. Der war für das Aufziehen und Zeigerstellen der Kirchenuhr zuständig. Ab 1694 übernahm diese Aufgabe auch der Türmer.
Welche Geschichten lauern hinter den anderen Türen des Kalenders? Am Montag öffnen wir die Tür zum Fernsehturm im Kyffhäuser. Wer weiß mehr darüber?
(mz)
