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Internationale Hilfe Ärzte der Psychiatrie in Querfurt kommen aus der halben Welt

Die Ärzte der Psychiatrie kommen aus der halben Welt. Die entferntesten Heimatländer trennen 11.000 Kilometer. Die Chefin sieht das als Bereicherung.

Von Robert Briest Aktualisiert: 16.09.2021, 09:59
 Esmelda La Baume, Chefärztin Bettina Wilms und Orkhan Babayev sind seit fünf Jahren Kollegen.
Esmelda La Baume, Chefärztin Bettina Wilms und Orkhan Babayev sind seit fünf Jahren Kollegen. Foto: Robert Briest

Querfurt/MZ - Die „Konkurrenz“ sitzt Esmelda La Baume schon im Nacken. Ein Kollege aus Mexiko wartet darauf, dass er endlich seine Arbeit im Klinikum Querfurt antreten kann. Doch noch ist die 40-Jährige die Medizinerin in der Psychiatrie, die vom Arbeitsort aus gesehen am weitesten aus dem West kommt. In der Dominikanischen Republik ist sie aufgewachsen, hat dort studiert. Doch dann wanderte sie der Liebe wegen nach Deutschland, zog vor zwölf Jahren mit ihrem Mann nach Nordthüringen. Und konnte zunächst nicht arbeiten. „Ich habe viel Zeit verloren, das war ärgerlich“, blickt La Baume zurück.

Die Anerkennung ihrer Ausbildung zog sich in die Länge. Sie hospitierte in der Kardiologie, besuchte eine Fachschule in Dresden, bevor sie 2015 endlich ihre Facharztausbildung in der Querfurter Psychiatrie beginnen konnte. Dort ist sie beileibe nicht die einzige Medizinerin, die nicht mit Deutsch aufgewachsen ist. Sieben von 16 Ärzten seien keine Muttersprachler, berichtet Chefärztin Bettina Wilms und nennt zwei Gründe: Den Ärztemangel vor allem in Kliniken im ländlichen Raum. Außerdem sei die Querfurter Chefarztstelle längere Zeit unbesetzt gewesen. Da zögerten viele deutsche Kollegen, ihre Facharztausbildung an einem solchen Haus anzufangen.

Orkhan Babayev schreckte das nicht. Er ist das andere geografische Extrem im Team. Aufgewachsen ist er in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku. Nach dem Studium arbeitete er zwei Jahre als Militärarzt in der umkämpften Provinz Bergkarabach. 2014 ging er nach Deutschland, weil er mit den Arbeitsbedingungen in seinem Heimatland unzufrieden war. „Die einzige Bedingung, um hier zu arbeiten, war die Sprache zu lernen“, berichtet der 38-Jährige. Das klang leichter, als es sich schließlich herausstellte. Hätte er vorher gewusst, wie schwer der Weg zu ausreichenden Sprachkenntnissen und der Arbeitserlaubnis wird, hätte er es sich vielleicht noch mal überlegt, berichtet der Mediziner, der 2016 nach Querfurt kam.

„Sprechende Medizin“

Die Sprache ist elementar in einer Disziplin, von der Chefärztin Wilms sagt: „Wir betreiben sprechende Medizin.“ Im Alltag mit den Patienten sei die Kommunikation aber kein Problem, berichtet La Baume, auch wenn manches Wort für sie, die mit Spanisch aufwuchs, schwer auszusprechen sei und ihr der, die, das noch immer Probleme bereiteten. „In der Psychiatrie muss man viel erzählen und verstehen“, bestätigt auch Babayev. Für ihn sei es vor allem nicht ganz einfach, herauszuhören, ob ein Wort ihm nur unbekannt ist oder ein Patient, wie es durchaus vorkomme, einen Begriff einfach erfindet.

Mit Blick auf den Abschluss als Facharzt sei es für die ausländischen Kollegen vor allem eine grammatikalische Herausforderung, gerichtsfestes Deutsch für Gutachten zu formulieren, berichtet die Chefärztin. Doch schon der Prozess, um überhaupt in die Ausbildung zu kommen, kann für die Mediziner, wie eben im Fall von La Baume, langwierig sein, wie Wilms erklärt: „Es gibt im deutschen System eine Gleichwertigkeitsprüfung, wenn jemand nicht aus der EU kommt. Dann muss er nachweisen, dass seine Kenntnisse der deutschen Ausbildung entsprechen. Erst dann gibt es die Approbation.“

Dafür sind zahlreiche Dokumente und Nachweise nötig, etwa beglaubigte Kopien der Zeugnisse. Wilms hat für den Prüfprozess durchaus Verständnis, aber sie würde sich mehr Stringenz und Vorhersehbarkeit wünschen. Der mexikanische Kollege warte etwa jetzt vier Wochen auf sein Führungszeugnis.

Erfahrung mit Rassismus

Wilms will die Kollegen mit ausländischen Wurzeln nicht missen. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen leben, die keine Deutschmuttersprachler sind. Da ist es Vorteil, wenn wir Mitarbeiter haben, die die Erfahrungen gemacht haben.“ Die Migrationserfahrung, aber etwa auch das Wissen, wie es ist als Dunkelhäutige in Deutschland zu leben, Rassismus zu kennen. Den erfahre sie in ihrer thüringischen Heimat oft, berichtet La Baume, anders als im Klinikum. Hier würden sie die Patienten akzeptieren: „Es ist selten, dass mal jemand etwas Böses gegen uns sagt.“ Die 40-Jährige berichtet, dass ihr die Begegnung mit einem Chefarzt aus Heidenheim, der ursprünglich aus Benin kommt, sehr geholfen hat. Der habe die gleichen Erfahrungen gemacht wie sie, auch mit Rassismus. „Er hat mir gezeigt: Ich kann es schaffen.“

Ihr Kollege Babayev findet, die eigene Erfahrung hilft, um Geschichten von Menschen mit Migrationshistorie zu verstehen. Manchmal sind es aber auch seine Kenntnisse in nun mehr fünf Sprachen, die weiterhelfen: „Wir hatten hier schon Patienten, die nur Russisch gesprochen haben“, erzählt der Mediziner, der seine Zukunft in der Suchttherapie sieht. Da habe er schon in Aserbaidschan gearbeitet, und Patienten mit Suchtproblemen hätten hier wie da viel gemein.

Nur wo er nach dem Facharzt praktizieren möchte, ist für den 38-Jährigen offen. „Auch wenn ich mich hier gut aufgehoben fühle, fehlt doch die Heimat.“ Vor allem leben dort seine Eltern, die bald in ein Alter kämen, in dem sie Unterstützung bräuchten, sagt Babayev. Und die kann er nur schwer aus dem 3.200 Kilometer entfernten Querfurt leisten.