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Zwei Burgen auf dem Sonnenberg

Von STEPHAN NEEF 09.06.2010, 16:31

THALE/MZ. - Zu einem veritablen Ritter gehört eine ansehnliche Burg. Eine Ritterburg. Sie sollte in exponierter, aussichtsreicher Lage stehen, damit der Rittersmann einen lohnenden Weitblick hat, immer sehen kann, wie und wo der Hase läuft.

Da macht auch Gerhard Ritter keine Ausnahme. Erstaunlich ist allenfalls, dass er erst mit 36 Jahren zur Tat schritt. Seit 1973 thront nun sein Bauwerk hoch über dem Thalenser Silberbachtal. Der Bauherr nannte es "Ritterburg auf dem Sonnenberg", nach dem Höhenzug, auf dem das Anwesen liegt. Den klangvollen, viel versprechenden Namen hat Ritter in einen Findling gemeißelt. Dabei besteht das steinerne Ensemble eigentlich nur aus zwei, nicht sonderlich wehrhaften Bungalows, die allerdings mit einer Seilbahn samt gläserner Kabine verbunden sind.

Jetzt hat Gerhard Ritter eine "echte" Burg gebaut. Oder besser: akribisch nachgebaut. Es ist das etwa mannsgroße Abbild eines weltberühmten oberbayerischen Schlosses, das ihn bei einer Bus-Visite regelrecht "verzaubert" hat, obwohl er es nur in Dauerregen und dichtem Nebel erlebte: Schloss Neuschwanstein. Nun gibt es das Prachtwerk des Märchenkönigs Ludwig II. ein weiteres Mal, in den gleichen Farben, mit immerhin 120 Fenstern und sieben Türmen, wenn auch nur auf einer Fläche von etwa vier Quadratmetern. Bei der Bergkulisse im Hintergrund handelt es sich natürlich nicht um die Alpen.

Etwa zweieinhalb Jahre brauchte Ritter für sein Kunstwerk. Als Vorlage dienten ihm lediglich Poster und Fotos. Den Skizzen folgte die Suche nach geeignetem Baumaterial und adäquaten Werkzeugen. Beschichtetes Sperrholz hatte sich als untauglich erwiesen. In den Wernigeröder Werkstätten der Oskar-Kämmer-Schule, in denen die Miniatur-Gebäude des "Kleinen Harzes" entstehen, wurde Ritter fündig. Das erfahrene Minihäuslebauer-Team empfahl Plastikplatten, die sich leicht verarbeiten lassen. Die Thalenser Werbegrafikerin Karin Tippmann spendierte dem Schlossbaumeister diverse Restbestände des gesuchten Kunststoffes. Eine Stichsäge outete sich als wenig feinfühlig und drohte das Werk zu verunstalten. Und so musste die Laubsäge 'ran.

"Eine mühselige Arbeit", erinnert sich der Thalenser, der sein Leben ansonsten in einem gewöhnlichen Plattenbau verbringt. Hilfreiche Knappen hatte Ritter nicht. Mit seiner Frau Inge nur "eine technische Beraterin", schmunzelt der Schlossherr.

Die imposante Neuschwanstein-Kopie steht noch in der lichtdurchfluteten Veranda seines Stammbungalows, hinter einer meterlangen Glasfront, die einen traumhaften Blick auf Hexentanzplatz, Roßtrappe, Steinköpfe und die Dächer von Benneckenrode ermöglicht. Bei einem Gespräch mit Bürgermeister Thomas Balcerowski (CDU) wurde die Idee geboren, das Schlossmodell im Obergeschoss der Kabinenseilbahn-Talstation auszustellen. Als Dauerleihgabe sozusagen. Ein Abgesandter der Seilbahnen-Erlebniswelt hat das gute Stück bereits inspiziert, eine Entscheidung ist jedoch noch nicht gefallen.

Immerhin könnte Gerhard Ritter seine Errungenschaft den Touristen zeigen, die in seiner Ritterburg urlauben. Seit 1984 vermietet er den Doppelgänger jenes Bungalows, den er selbst nutzt. 286 Thale-Urlauber sind in seinem Gästebuch verzeichnet, unter ihnen Besucher aus Ungarn, Tunesien und der Schweiz. Auch sie profitierten schon von den handwerklichen Fähigkeiten des einstigen Kranfahrers, der bis zur Wende im EHW-Stahlwerk arbeitete. Vielleicht hat die Kabinen-Seilbahn, die das Urlaubergepäck in die tiefer gelegene Datsche transportiert, mit seinem ehemaligen Arbeitsplatz zu tun.

Seine Kleeblatt-Sammlung dagegen wohl eher nicht. Auf der benachbarten "Langen Wiese", zwischen Sonnen- und Schulmeisterberg, suchte und fand Ritter innerhalb eines Jahres über 1 000 vier- und mehrblättrige Kleepflanzen, darunter diverse sechs- und siebenteilige Exemplare. Die kuriose Sammlung hat der 73-Jährige säuberlich archiviert. Seine Absicht, den Kleeblatt-Fundus bei Guinness-World-Records als Rekordversuch anzumelden, scheiterte allerdings, wenn auch nur aus formalen Gründen. Im vergangenen Jahr reiste der Globetrotter, der schon fast alle Kontinente besucht hat, ins arabische Emirat Dubai. Und war fasziniert, vor allem von den monumentalen, himmelhohen Bauwerken und ihrem futuristischen Design. Vielleicht entsteht auf dem Thalenser Sonnenberg ja bald ein Modell der Dubai-Boomtown. Dann müsste Ritter seine "Höhenburg" allerdings noch kräftig aufstocken.