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"Es fehlen Gesten Körperkontakt" Wie Pfarrer Martin Gentz Nikolaikirche Quedlinburg trotz Coronakrise Gläubige betreut: Seelsorge auf Abstand

Von Rita Kunze 22.04.2020, 07:56
Pfarrer Martin Gentz von der St.-Nikolai-Kirche in Quedlinburg spricht mit einem Kirchenbesucher.
Pfarrer Martin Gentz von der St.-Nikolai-Kirche in Quedlinburg spricht mit einem Kirchenbesucher. Dominique Leppin

Quedlinburg - Die Nikolaikirche ist groß genug, dass Menschen in ihr Abstand halten können. Dabei suchen sie doch gerade hier etwas anderes: Anteilnahme und menschliche Nähe. Pfarrer Martin Gentz steht vor dem Gotteshaus, bereit, Beistand und Trost zu spenden.

Jeden Vormittag ist die Kirche für anderthalb Stunden geöffnet, damit Menschen dort beten oder seelsorgerische Gespräche führen können. Ein Angebot, das die evangelische Kirchengemeinde Quedlinburg in Corona-Zeiten bereithält, weil in Gotteshäusern keine Gottesdienste stattfinden dürfen und Kontakte weitgehend eingeschränkt sind.

Jeden Vormittag ist die Nikolaikirche für 90 Minuten geöffnet für Gebete und Gespräche

„Der Raum selbst hat ja eine gewisse Ausstrahlung“, sagt Pfarrer Gentz, „und die Abstandsregeln lassen sich hier auch einhalten.“ Doch die Resonanz sei eher verhalten. Die Kirche bleibt oft leer.

Anders bei „mittwochs immer“, einem Gesprächsangebot, das es schon vor Corona gab - und das sich doch in diesen Tagen zu einem alternativen Termin entwickelt hat.

Wegen Corona: Gespräche, die normalerweise im Pfarrbüro geführt werden, lassen sich jetzt in die weit größere Kirche verlegen. „Da ist die ganze Bandbreite“, so Martin Gentz über die Themen, die besprochen werden. Das reiche von der Seelsorge bis zum Trauerfall.

„Ich sitze jetzt viel mehr am Computer als vorher“, berichtet Pfarrer Gentz

Die Ausbreitung des Coronavirus hat für jeden spürbare Veränderungen mit sich gebracht. Sie hat auch die Arbeit des Pfarrers verändert. „Ich sitze jetzt viel mehr am Computer als vorher“, sagt Martin Gentz. „Weil viele Leute den direkten Kontakt meiden.“ Das bedeutet für ihn, mehr E-Mails zu schreiben und zu beantworten, mehr WhatsApp-Nachrichten zu verschicken, mehr zu telefonieren.

Anders geht es im Moment nicht, doch der Pfarrer stellt dabei immer wieder eines fest: „Ob ich nun ein Beratungsgespräch führe oder in einer Telefonkonferenz bin - man sieht die Gesichter seiner Gesprächspartner nicht. Eine Diskussion kann sich da nicht so entfalten, die Reaktionen sind nicht so unmittelbar wie im direkten Gespräch.“

„Das Sprechen, die Gesten, der Körperkontakt - das ist ein Verlust, den mir viele Menschen beschreiben“

Es fehle der direkte Kontakt, „den wir nötig haben“, sagt Martin Gentz. Denn es mache einen Unterschied, ob man jemandem im Gespräch die Hand auf die Schulter lege oder nur am Telefon mit ihm rede. „Das Sprechen, die Gesten, der Körperkontakt - das ist ein Verlust, den mir viele Menschen beschreiben“, sagt er.

Nach mehreren Internet-Gottesdiensten hat der Pfarrer aber noch etwas festgestellt: Während bei regulären Gottesdiensten zwischen 40 und 60 Teilnehmer gezählt würden, habe man bei den Online-Gottesdiensten rund 300 Klicks gezählt.

Woran das liegt, könne er nicht genau einschätzen. Vielleicht lasse sich die Teilnahme zu Hause eher realisieren, weil sie zeitlich nicht gebunden ist. Vielleicht seien es auch Familien, die sich das anschauen und bei denen sonst nur die Älteren zu den Gottesdiensten gehen würden.

In Kirchen könne man weit auseinander sitzen - warum wurden keine Gottesdienste gestattet?

Dass die Kirchen bei den ersten Lockerungen der Vorsichtsmaßnahmen weiter geschlossen bleiben, sieht der Quedlinburger Pfarrer zwiespältig. Er hätte sich gewünscht, dass die Entscheidung darüber den Kirchen vor Ort überlassen worden wäre. In Kirchen könne man weit auseinander sitzen, in multifunktional genutzten Gemeindehäusern werde es schon schwieriger.

„Aber soll man es den einen erlauben und den anderen verbieten? Ich habe schon Verständnis dafür, dass man es allen verbietet“, sagt er angesichts der Tatsache, dass auch Moscheen und Synagogen geschlossen bleiben.

Die Nikolaikirche ist für ein stilles Gebet oder ein Seelsorgegespräch montags bis freitags von 11 bis 12.30 Uhr sowie samstags und sonntags von 10.30 bis 12.30 Uhr geöffnet. (mz)