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Urteil für 62-Jährige aus Rieder Urteil für 62-Jährige aus Rieder: Totschlag nein, Rentenbetrug ja

Von Uwe Kraus 30.08.2019, 09:56
Die Angeklagte neben ihrem Verteidiger Christoph Wolters im Verhandlungssaal im Landgericht Magdeburg.
Die Angeklagte neben ihrem Verteidiger Christoph Wolters im Verhandlungssaal im Landgericht Magdeburg. Kraus

Rieder/Magdeburg - Dreieinhalb Jahre Haft - diese Strafe hat die Schwurgerichtskammer am Landgericht Magdeburg am Donnerstag gegen eine 62-jährige Frau aus Rieder verhängt, die ihren Nachbarn getötet und jahrelang dessen Rente kassiert hat. Verurteilt wurde sie wegen gewerbsmäßigen Betrugs. Das Verfahren wegen Totschlags stellte das Gericht ein. Zahlreiche Fragen bleiben aber offen.

Dass die Angeklagte den 1920 geborenen Nachbarn mit einem Messer verletzt und dann mit Beilhieben in dessen Haus getötet hatte, räumte sie während der Verhandlung vor der 1. Strafkammer ein. Doch wann das geschah, war nicht zweifelsfrei zu klären.

Der Mann, der von seinen Kindern als Bestie beschrieben wurde, der sexuell übergriffig geworden sei, wo er gekonnt habe, und über Jahre seine minderjährigen Töchter sexuell missbraucht habe, soll die Angeklagte an den Oberschenkel gefasst und auf Sex gedrungen haben.

Notwehr als Reaktion auf Angriff?

Aus Notwehr, weil er sie derart bedrängt habe, hätte sie zu Messer und Beil gegriffen. Oberstaatsanwältin Eva Vogel macht aber auch klar: „Was ich Ihnen nicht glaube, ist, dass es zu einer wilden Hatz durch das Zimmer gekommen ist.“

Der Mann sei auf einen Stock und zeitweise den Rollstuhl angewiesen gewesen. Dazu komme die Aussage, dass der Mann bei der Notwehr-Attacke mit dem Gesicht zur Tür gestanden und der Frau zugerufen habe, dass sie nie mehr aus dem Zimmer komme. „Da sehe ich keinen Angriff mehr, auf den reagiert werden muss“, so die Oberstaatsanwältin.

Wie die Angeklagte - 40 Zentimeter kleiner als der Mann, den sie als Haushaltshilfe betreute und für dessen Konto sie Vollmacht besaß -, die Leiche des Mannes in den Keller bekommen und dann den Totenstarren in ein dort gebuddeltes kleines Grab gezwängt hat - das bleibt ebenso ungeklärt.

Oberstaatsanwältin Eva Vogel: „Die Zeit hat ganze Arbeit geleistet."

Eva Vogel bedauert, „dass die Zeit ganze Arbeit geleistet“ habe und die Spurenlage trotz intensiven Einsatzes der Kriminaltechnik nicht zur Erhellung der Umstände der Straftat beitragen konnte. Während die erfahrene Oberstaatsanwältin durchaus „schlüssige Zeugen“ gehört hat, die die Auffassung stützen, dass die Tat um den 27. Mai 2001 geschehen sein muss, sieht es der Verteidiger der Angeklagten, Christoph Wolters, anders: Der Tyrann hätte als brutaler Vergewaltiger seiner Umgebung über Jahre ein Martyrium bereitet. Wolters bezieht sich auf andere Angaben, so zur Farbe eines beteiligten Autos und zum letzten Arztbesuch, die „die Tat im Herbst 1995 wahrscheinlich erscheinen lassen“. Seine Mandantin habe „zugeschlagen, um einer Vergewaltigung zu entgehen“.

Unterlassene Hilfeleistung ist verjährt

Die Totschlagsanklage stellt das Gericht ob der Notwehrsituation ein. Dass die Angeklagte noch längere Zeit neben dem Sterbenden gesessen habe und sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machte, sei unterdessen verjährt, so der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg.

In der Folgezeit habe die Angeklagte bis zur Entdeckung der Tat die Rente des Nachbarn für sich einbehalten. Das summiert sich laut Urteil auf 104 831,26 Euro, die nun eingezogen werden. Dieser gewerbsmäßige Betrug über mindestens elf Jahre war nach Ansicht des Gerichts von hoher krimineller Energie geprägt.

Quittungen ausgestellt, Vollmachten und andere Schriftstücke gefälscht

Richter Dirk Sternberg räumt ein, dass es der Frau sehr leicht gemacht worden war. Monatlich habe sie die Rente des Toten von durchschnittlich 724 bis 843 Euro auf ihr Konto umgeleitet. Sie habe Quittungen ausgestellt, Vollmachten und andere Schriftstücke gefälscht. Das sei „ganz schön heftig gewesen“, meint die Oberstaatsanwältin, die auf eine Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten plädierte.

Die 62-Jährige habe sogar 2009 die Dreistigkeit besessen, bei der Rentenversicherung anzurufen, um zu fragen, wo die Zahlungen denn bleiben. Daraufhin floss das Geld weiter, bis die Krankenkasse sich wunderte, dass ein unterdessen 96-Jähriger seit sehr vielen Jahren weder einen Arzt besuchte, noch die benötigten Medikamente nahm. Da war der Mann schon viele Jahre tot.

Zur Anklage kamen in Prozess jedoch nur die Zeit ab 2004, als die Angeklagte am 8. März Vorkehrungen traf, das Geld an eine neue Adresse zu überweisen.

Während Strafverteidiger Christoph Wolters ein Strafmaß beantragt hat, das das Gericht zur Bewährung aussetzen könnte, folgt dieses weitgehend dem Antrag der Oberstaatsanwältin und schickt die geständige Frau für dreieinhalb Jahre hinter Gitter. Ob Verteidiger Wolters in Revision gehen wird, ließ er am Donnerstag offen. (mz)