Thale Thale: Streit um Areal für Firmenansiedlung eskaliert
Thale/MZ. - Geduckt liegt das kleine Dorf Warnstedt in der Hügellandschaft am Rande des Harzes. Der 700-Einwohner-Ortsteil von Thale ist eingerahmt von Feldern und Wäldchen. Auf einem Acker am Ortseingang hat die Agrargesellschaft Warnstedt ein großes Plakat aufgestellt: "Thales Beitrag gegen den Hunger der Welt: Ein Industriegebiet von 22 Hektar." Initiator ist Geschäftsführer Albrecht Kloß, der bereits seit zwei Jahren gegen die Errichtung eines neuen Industriegebiets durch die Stadt Thale vorgeht. Je näher die Umsetzung des Projektes rückt, um so stärker eskaliert der Konflikt.
Kloß sitzt in einem Flachbau der Agrargesellschaft. Sein Blick fällt auf die Felder, die dem neuen Firmenareal weichen sollen. Der 61-Jährige trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: "Brot wächst nicht im Supermarkt." Dies ist seine Botschaft. "Guter Acker, der zur Produktion von Nahrungsmitteln dient, geht unwiederbringlich verloren", sagt der Landwirt. Dabei gebe es in Thale und Umgebung bereits genügend ungenutzte Gewerbefläche. Kloß spricht von 400 Hektar allein im Landkreis Harz. Im benachbarten Gernrode etwa befinde sich ein voll erschlossenes Gewerbegebiet mit Zufahrten, Kanalisation und Laternen - nur Ansiedlungen fehlten. Für Kloß sind das "beleuchtete Landschaften." Er schüttelt den Kopf und hat kein Verständnis dafür, dass die Harzlandschaft nun durch noch mehr Straßen, Gasleitungen und Laternen durchschnitten werden soll.
Die große Agrargesellschaft bewirtschaftet 1 950 Hektar. "Sicher", sagt Kloß, "eine Fläche von insgesamt 30 Hektar erscheint da nicht groß. Sie hat für uns aber großen Wert". Der landwirtschaftliche Betrieb ist von drei Seiten vom Ort Warnstedt umschlossen. Vor seiner Nase will Kloß keine Industrie - er klagt dagegen auch vor Gericht.
Vier Kilometer weiter am Ortseingang von Thale befindet sich das Gewerbegebiet Thale / Nord. Auf dem Gelände glänzen dunkle Solaranlagen in der Sonne. "Dafür ist Platz", sagt Kloß sarkastisch. Er verweist auch auf eine große Freifläche des ehemaligen Hüttengeländes in der Stadt.
Im Rathaus legt Bürgermeister Thomas Balcerowski (CDU) derweil große Karten auf den Tisch. Sie zeigen den Stand der Planungen. "Es gibt in Warnstedt bereits ein ausgewiesenes Gewerbegebiet von zehn Hektar. Dort herrscht Baurecht. Etwa 20 Hektar sollen noch dazu kommen", sagt Balcerowski. Für ihn gibt es dazu keine Alternative. "Wir haben in Thale immer noch eine Arbeitslosigkeit von zehn Prozent." Durch das Gewerbegebiet könnten 500 neue Jobs entstehen. Es gebe bereits sehr konkrete Anfragen.
Das leere Gewerbegebiet in Gernrode ist für ihn nicht abschreckend. Im Gegenteil. "Gernrode hat keine gute Lage. Da zieht es Investoren nicht hin." Ähnliches gelte für das ehemalige Hüttengelände in Thale. Dagegen würden Wernigerode und Ilsenburg ihre Industriegebiete an der B 6n ständig erweitern. Dies will nun auch Balcerowski. 2,6 Millionen kostet die Erschließung - 60 Prozent davon werden vom Land gefördert. Thales Bürgermeister verweist darauf, dass der gesamte Stadtrat mit CDU, SPD, Linken, Grünen, FDP und Freier Wählergemeinschaft hinter dem Projekt steht. "Die Industrie stellt mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze in Thale. Die Landwirtschaft zwei Prozent."
Mehrere Vermittlungs- und Schlichtungsversuche zwischen Stadt und Agrargesellschaft scheiterten bereits. Stattdessen eskaliert der Streit immer mehr. Balcerowski wirft Kloß vor, dass dieser gezielt potenzielle Investoren mit Anrufen vergraule. Kloß stoppte die Vernichtung eines kleinen Stückes Rapsfeld durch Baufahrzeuge, indem er einfach schweres landwirtschaftliches Gerät auf dem Acker stehen ließ. Balcerowski: "Wir haben das Teilstück, das der Stadt Thale gehört, nun eingezäunt. Wird die Erschließung noch einmal blockiert, ist dies Hausfriedensbruch."
Der Konflikt spaltet mittlerweile auch die Bauern in der Region. Ein Mitarbeiter des Landwirtes Kurt-Henning Klamroth mulchte das Rapsfeldstück im Auftrag der Stadt. "Thale geht ordnungsgemäß vor, daher haben wir die Dienstleistung erbracht", sagt Klamroth, der auch Präsident des Bauernbundes im Land ist. Er teilt die Einschätzung von Balcerowski, dass durch das Industriegebiet neue Arbeitsplätze in der Region entstehen. Andere Flächen für Ansiedlungen gebe es in Thale nicht.
Für den Erhalt der Ackerfläche sprechen sich dagegen Umweltschützer, Grüne im Landtag und Landesbauernverband aus. Sie üben vor allem Kritik an der Landesregierung. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Christoph Erdmenger, sagt: "Die Landesregierung hat im Landesentwicklungsplan 28 Areale als Gewerbe- beziehungsweise Industriegebiet ausgewiesen. Im Jahr 2010 waren da noch 1 200 Hektar frei." Erdmenger bemängelt, dass das Land nun weitere Fördermittel in die Hand nimmt, um neue Flächen zu erschließen. Insgesamt würden so in den nächsten Jahren sechs große Industriegebiete für 100 Millionen Euro entstehen. Der Landesbauernverband wendet sich auch gegen ein neues Industrieareal bei Sangerhausen (Mansfeld-Südharz). Dort sollen 200 Hektar bester Ackerboden für Großansiedlungen weichen, sagt Hauptgeschäftsführer Fritz Schumann.
Die Umweltschutzorganisation BUND sieht die Lage differenziert. "Es gibt in Sachsen-Anhalt durchaus Bedarf an großen Industrieflächen in der Größe von 500 Hektar", sagt Geschäftsführer Oliver Wendenkampf. Kleine Gewerbegebiete gebe es dagegen massenhaft. "Warnstedt macht daher keinen Sinn."