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Telefon-Terror gegen Gastronomen Telefon-Terror gegen Gastronomen: Wer nicht zahlt, wird verleumdet

Von Susanne Thon und Ingo Kugenbuch 17.03.2019, 14:55

Quedlinburg - Sie nennt sich Sandra Lehmann und pöbelt gern. Quer durch die Republik kriegen Gewerbetreibende auf Google ihr Fett weg. Ungerechtfertigt. Die Bewertungen sind keine Bewertungen, sondern Retourkutschen.

Hinter dem Frauennamen stecken nach MZ-Recherchen Betrüger. Sie wollen am Telefon Geld abzocken. Verweigern die Angerufenen die Zahlung, hagelt es negative Bewertungen. Seit Donnerstag sind der Redaktion drei Betrugsversuche bekanntgeworden - zwei in Quedlinburg, einer in Wittenberg.

Betrüger fordert per Telefon Geld, wer nicht bezahlt, wird schlechtgemacht

In Quedlinburg hat Manuela Schlitt, Betreiberin des Cafés „Frau Schnittchen“ am Schlossberg, Bekanntschaft mit den Betrügern gemacht. Mit einem Anruf habe am Dienstag alles angefangen, erzählt sie. Freundlich sei sie darauf hingewiesen worden, dass sie für ihr Google-Unternehmensprofil künftig rund 800 Euro pro Jahr zu zahlen habe oder – gegen Zahlung von 500 Euro – kündigen könne.

Danach begann ein regelrechter Telefonterror: „Sie haben auf allen Nummern angerufen“, so Schlitt, die sich zwischenzeitlich informiert und herausgefunden hat, dass es sich um eine noch recht neue Betrugsmasche handelt.

Den nächsten Anruf nahm sie entgegen, entlarvte die falschen Google-Mitarbeiter: „Ich habe gesagt, dass ich weiß, dass sie mich verarschen wollen und sie mich doch in Ruhe lassen sollen.“ Doch das taten sie nicht: Vier Minuten nach dem Anruf wurde „Frau Schnittchen“ auf Google bewertet. Mit einem von fünf Sternen und einem Kommentar, der, selbst, wenn er echt gewesen wäre, die Grenzen der freien Meinungsäußerung überschritten haben dürfte.

Wenige Minuten nach dem Telefonat wurde ein beleidigender Kommentar verfasst

Auch hier wehrte sich Schlitt, meldete Google die Bewertung, am Donnerstag wurde die Rezension entfernt. Das Glück hatte ihr Kollege Georg Hoffmann vom Wittenberger Restaurant „Zum Goldenen Anker“ nicht, auch er wandte sich an Google – bisher erfolglos: „Ich finde es nicht in Ordnung, dass Google nicht eingreift und das löscht“, sagt er. Wie das Unternehmen mit solchen Fake-Accounts umgeht, war nicht in Erfahrung zu bringen. Eine Anfrage blieb unbeantwortet.

„Die Bewertungen bedeuten uns extrem viel, gerade auf Google“, erklärt Manuela Schlitt und untermauert ihre Aussage mit Zahlen: In den vergangenen 30 Tagen sei ihr Unternehmensprofil mehr als 10.000 Mal aufgerufen worden, rund 6.000 Suchanfragen habe es gegeben. „Da tut das richtig weh, wenn so was passiert.“

Unter mehreren Hundert Bewertungen fällt eine negative nicht ins Gewicht, bei etwas mehr als 70, die „Frau Schnittchen“ hat, schon: „Je mehr Bewertungen man hat, umso entspannter wird man. Wir feiern noch jede gute Bewertung“, sagt Schlitt, die sich mit der Eröffnung des Cafés vor sechs Jahren einen langgehegten Traum erfüllte, nachdem sie 35 Jahre als Krankenschwester gearbeitet hatte.

„Wir feiern noch jede gute Bewertung“, sagt Manuela Schlitt

Auch ein weiteres Quedlinburger Restaurant wurde zum Opfer der Online-Pöbler. Genau wie Manuela Schlitt erhielt der Betreiber, der anonym bleiben will, einen Anruf der Abzocker – und danach prompt eine miese Bewertung. „Eine Frechheit sich überhaupt zu trauen so etwas Essen zu nennen“, heißt es darin zum Beispiel. Und: „Nie wieder – sowas müsste verboten werden!!!“

Der Restaurantbetreiber antwortete auf Google: An dem Tag, an dem „Sandra Lehmann“ die Gaststätte besucht haben will, hatte sein Haus geschlossen.

Georg Hoffmann überlegt, Anzeige zu erstatten; Manuela Schlitt will es. Es wäre die erste, die im Polizeirevier eingeht. Man habe es immer wieder mit Betrugsversuchen und Betrügereien am Telefon zu tun, die Anrufer gäben sich als Polizisten und Anwälte aus, warum also nicht auch als Google-Mitarbeiter, sagt Nadine Sünnemann vom Polizeirevier Harz in Halberstadt.

Gastronomen wollen Anzeige gegen die Verleumdung erstattet

Auch andere Tatbestände wie Verleumdung oder üble Nachrede kämen hier unter Umständen in Betracht, das müsse im Einzelfall geprüft werden. Was bei Manuela Schlitt bleibt, ist die Verunsicherung. Immerhin wäre sie beinahe einem Betrüger aufgesessen.

„Wäre ich nicht auf die Idee gekommen zu googlen, hätte ich die 500 Euro womöglich bezahlt“, gibt sie freiheraus zu. Den Schritt in die Öffentlichkeit geht die Café-Betreiberin bewusst: „Ich habe erst überlegt, ob ich es mache, aber vielleicht schütze ich damit den einen oder anderen.“ (mz)