Stadtforst Quedlinburg Stadtforst Quedlinburg: Wildschweine auf Vormarsch
QUEDLINBURG/MZ. - "Wildschweine finden ein regelrechtes Schlaraffenland vor", sagt Kai Wiebensohn, verantwortlich im Bauhof für das Stadtgrün und für die acht Jäger, die im Quedlinburger Stadtwald auf Pirsch gehen. "Das ist keine gesunde Entwicklung", setzt er hinzu, denn die Tiere richten einen nicht unbeträchtlichen Schaden in den angrenzenden landwirtschaftlichen Kulturen an. "Doch durch immer mehr und größere Raps- und Maisfelder werden Wildschweine regelrecht angezogen - ein Schlaraffenland eben", erklärt der Weidmann.
Für die Jäger wiederum ist es schwierig, an die Tiere heranzukommen, denn in den bis zum Waldrand ausgedehnten Feldern sind sie kaum oder nur schwer auszumachen. Die Wildschweine werden also immer mehr, doch das Gleichgewicht in der Natur wird gestört, weiß der Jäger, denn natürliche Feinde haben die Schwarzkittel schon lange nicht mehr. Früher holten sich Bären und Wölfe Frischlinge, so dass von einem Wurf im Endeffekt von zehn zwei übrig blieben.
Das ist heute ganz anderes. Der genetische Code lässt die Sauen weiter bis zu zehn Jungtiere werfen, die entgegen früherer Zeiten fast alle überleben. Zudem werden die Frischlinge schon im ersten Jahr geschlechtsreif und sorgen also weiter für ein Ansteigen der Population. Mit 20 Kilogramm sind sie bereit für die nächste Generation. Durch die neue Bundesstraße 6 wechseln die Tiere zudem nicht mehr weiter nach Norden. Die Zäune an der vierspurigen Schnellstraße verhindern dies und lassen die Rotten in einem Gebiet, wie dem Quedlinburger Stadtwald ansteigen.
"Hier müssen die Jäger zukünftig enger und revierübergreifend zusammenarbeiten, um effektiver jagen zu können", sagt Kai Wiebensohn. Die starke Vermehrung von Wildschweinen könne aber nicht allein von den Jägern begrenzt werden. Es müsste auch ein Umdenken in der Landwirtschaft stattfinden. Förderregularien und Anbaumethoden seien zu überdenken. "In Zeiten, wo Weizen und Mais in Biogasanlagen verschwinden und Supermärkte vor Lebensmitteln überquellen, von denen ein Teil weggeschmissen wird, sollten auch Randstreifen für Kornrade, Feldlerche und Hase möglich sein", meint der Jäger. Ein Randsteifen zwischen Wald und Feld oder eine Brache inmitten riesiger Ackerflächen wäre ein Refugium der Artenvielfalt und eine Möglichkeit, die hohen Schwarzwildbestände effektiv bejagen zu können. Jäger, Förster und Bauern sollten hier an einem Strang ziehen.
"Die Jäger stehen zu dem Motto, die Tiere gehören zu Wald und Feld", betont Kai Wiebensohn. Es werde also waidgerecht gejagt. Dazu gehöre, dass nicht die Leittiere einer Rotte, die die Jungtiere versorgen, geschossen werden, sondern Frischlinge, um den Bestand in Grenzen zu halten.
Im Quedlinburger Stadtwald teilen sich jeweils zwei der acht Jäger einen Pirschbezirk. Sie stammen aus Quedlinburg und umliegenden Dörfern. Im Jahr werden derzeit etwa 30 Rehe und 30 Wildschweine sowie Niederwild, wie Kaninchen und Fasane, erlegt. Auch Füchse, Marder und Dachse kommen "zur Strecke", wie der Weidmann sagt. Der Bestand an Dachsen hat in jüngster Zeit zugenommen, weiß er. Füchse seien im Wald durchaus willkommen. Sie ernähren sich nicht unerheblich von Mäusen, die in den jungen Baumbeständen erheblichen Schaden anrichten.
Das geschossene Wild wird über Wildhändler vermarktet. Aufgrund des Überangebots ist "der Preis nicht so gut", bedauert der Jäger und setzt hinzu: "Wild kann mit gutem Gefühl gegessen werden. Es stammt nicht aus Massentierhaltung." Gesetzliche Bestimmungen sorgen dafür, dass ein Verzehr unbedenklich ist. So werden alle erlegten Wildschweine zum Beispiel auf Trichinenbefall untersucht, um Gefahren für den Verbraucher auszuschließen.