Kindergärten im Landkreis Harz Schieben Eltern die Einschulung wegen Corona auf?
Weil sie Rückstände in der Entwicklung der Kinder beobachten, wollen einige Eltern in Thüringen sie länger in der Kita lassen. Wie die Situation im Harzkreis ist.
Quedlinburg - Für die Kitas im Land hatte Corona zur Folge, dass sie in den vergangenen 13 Monaten, sofern sie nicht geschlossen waren, über lange Zeiträume nur Notbetreuung anbieten konnten. Viele Kinder mussten zu Hause bleiben.
Dass sich dadurch ein krisenbedingter sozialer, motorischer oder intellektueller Entwicklungsrückstand bei ihrem Nachwuchs ergeben haben könnte, befürchten nach Recherchen des MDR in Thüringen immer mehr Eltern - und stellen Anträge, die Einschulung ihrer schulfähigen Kindergartenkinder um ein Jahr aufzuschieben. Ob es solche Anfragen auch im Harzkreis vermehrt gegeben hat, dazu hat sich die Mitteldeutsche Zeitung bei Kita- und Schulträgern erkundigt.
„Die Kinder sind gut vorbereitet“, sagt Jörg Rommelfanger vom Trägerwerk Soziale Dienste
In den Einrichtungen des Trägerwerks Soziale Dienste Sachsen-Anhalt, sagt Geschäftsführer Jörg Rommelfanger, habe es keine Fragen zum Aufschub der Einschulung gegeben, die durch die Pandemie begründet seien. Das Werk hat in Harzgerode unter anderem die Trägerschaft des Horts der Grundschule sowie der Kindertagesstätten in Dankerode, Königerode, Siptenfelde und Straßberg inne.
Neben den Eltern sähen auch die Erzieher bisher keine pandemiebedingten Gründe für einen Aufschub. „Die Kinder sind gut vorbereitet, auch weil in den Zeiten des eingeschränkten Zugangs zur Betreuung in den Kindertageseinrichtungen der Kontakt zu den Elternhäusern gehalten wurde“, hebt Rommelfanger hervor.
Klar sei aber auch: „Natürlich geht die Pandemiesituation mit ihren vielfältigen Herausforderungen auch nicht an den Kindern spurlos vorbei.“ So habe man beobachtet, dass die Kinder nach längerer Abwesenheit eine Eingewöhnungsphase bräuchten, die in der Praxis jedoch nicht umsetzbar sei.
Es liege daher „im pädagogischen Geschick der Erzieher*innen und der Einrichtungsteams, sowohl den Kindern als auch den Eltern das ,Ankommen und Neu finden’ so entspannt wie möglich zu gestalten“, was viel intensive Beziehungsarbeit bedeute, wie der Geschäftsführer schildert.
Ute Pesselt, die parteilose Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Vorharz, teilt auf Anfrage der MZ mit, dass auch in den neun Kindertageseinrichtungen in Trägerschaft der Kommune keine Anfragen zum Aufschieben der Einschulung gestellt wurden. In den Schließzeiten hätten die meisten Eltern die Betreuung ihrer Kinder sehr gut wahrgenommen.
Eltern können Kontakt mit Schulen aufnehmen, sagt Vorharz-Bürgermeisterin Ute Pesselt
Dabei habe die Gemeinde sie mit Arbeitsmaterial wie dem „Max Murmel“-Heft fürs Vorschuljahr unterstützt - ein Angebot, das von vielen Eltern dankbar angenommen worden sei. Die Kontaktbeschränkungen ließen derzeit zwar keine Schnupperveranstaltungen zu, die Eltern normalerweise ermöglichen würden, die künftige Schule ihrer Jüngsten in Hedersleben, Schwanebeck oder Wegeleben kennenzulernen. Es bestehe, so die Verwaltungschefin, jedoch die Möglichkeit, individuell mit den Schulen in Kontakt zu treten.
Davor, dass bei vermehrten Einschulungsaufschüben ein Kapazitätsproblem in den Kitas drohen könnte, brauche niemand Angst zu haben, fügt Pesselt hinzu - selbst in der kleinsten Einrichtung, der Kita „Hakelspatzen“ in Heteborn, hielten sich die Kinder, deren Einschulung bevorstehe, und jene, die aus der Krippe herüberwechselten, die Waage.
„Wir sind hier im ländlichen Raum so aufgestellt, dass wir immer einen Kindergartenplatz anbieten können“, betont die Bürgermeisterin. Eher auf der anderen Seite, bei den Schulen und ihren Mindestschülerzahlen, verortet Thales amtierender Bürgermeister Frank Hirschelmann die Schwachstelle.
Könnten hier aufgeschobene Einschulungen zum Problem werden? „Trifft das für eine Schule zu, die ohnehin schon an der magischen Grenze, jahrgangsbezogen und gesamtschülerzahlbezogen, fährt, dann ist das schnell möglich“, schätzt Hirschelmann ein. Der Verwaltung stehe jedoch mit dem schulbezogenen Ausnahmeantrag ein rechtlicher Ausweg offen.
Von Anträgen, den Wechsel von Kindern an eine Grundschule aufzuschieben, kann Hirschelmann aber ebenso wenig berichten wie Andreas Damm, Pressereferent der Evangelischen Stiftung Neinstedt. „Es liegen keine Anfragen von Eltern zu Rückstellungen vor“, sagt der Mitarbeiter des Sozialdienstleisters, der für neun Kitas im Thalenser Gemeindegebiet als Träger in Erscheinung tritt.
Logopädin Anna Littwin: Es ist noch zu früh, um Entwicklungsstörungen durch den Lockdown zu beurteilen
Einen unmittelbaren Einblick in den sprachlichen Entwicklungsstand der Kinder in der Region hat die Logopädin Anna Littwin aus Quedlinburg. Um einzuschätzen, ob Pandemie und Lockdowns eine Zunahme von Entwicklungsstörungen zur Folge hätten, sei es wahrscheinlich noch zu früh, schätzt sie ein.
Allerdings habe die Interaktion, das Spiel und der Dialog mit „Peers“, also Kindern mit den gleichen Entwicklungsaufgaben, einen bedeutenden Anteil am Spracherwerb - und dieser Teil sei nun lange weggefallen. Zudem falle es Eltern häufig schwer, Homeoffice und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen.
Littwin sagt aber auch: „Für eine Einschulung muss ein Kind nicht unbedingt perfekt geeignet sein.“ Häufig würden im letzten Vorschuljahr noch große Fortschritte gemacht, und solange beim Kind ein Interesse am Lernen vorhanden sei, sollten Eltern diese Motivation nicht unterdrücken. (mz/brt)