Powerfrau aus Quedlinburg Powerfrau aus Quedlinburg: Das grüne Schaf der Familie
Quedlinburg - „Ich kann Aufgaben, die ich sehe, einfach schlecht rumliegen lassen“, beschreibt Susan Sziborra-Seidlitz ihre eigene Mentalität. Wirft man einen Blick auf den Alltag der 38-Jährigen, dann wird recht schnell deutlich, dass es auch eine eben solche Lebenseinstellung braucht, um das bei ihr anfallende Arbeitspensum stemmen zu können.
Tagtäglich muss die gebürtige Berlinerin den Spagat zwischen Politik und Krankenhausalltag bewältigen, zwischen ihren Posten als Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalts Bündnis 90/Die Grünen (in Doppelspitze zusammen mit Christian Franke), als Kreisvorsitzende der Grünen im Harz (in Doppelspitze zusammen mit Jennifer Breuste) sowie als Stadträtin in Quedlinburg und ihrer Arbeit als Krankenschwester im Harzklinikum Dorothea Christiane Erxleben Quedlinburg. Hinzu kommen die privaten Verpflichtungen der verheirateten Mutter von drei Kindern.
Immer alles am Laufen halten
„Ich vergleiche mein Leben und all meine Aufgaben immer mit dem Jonglieren von mehreren Bällen in der Luft“, beschreibt Sziborra-Seidlitz ihre Situation. Dann müsse man zusehen, immer alles am Laufen zu halten, „und das beste Ergebnis erziele ich, wenn alle Bälle auch wirklich oben in der Luft bleiben, ohne herunterzufallen“.
An eine Trennung von Politik und Krankenhaus habe sie sich durch ihre Arbeit im Kreistag und Stadtrat plus einer 40-Stunden-Woche im Klinikum zwar schon gewöhnt, eine erhebliche Entlastung sei es inzwischen aber dennoch, ihre Stelle als Krankenschwester nur noch im Rahmen einer Teilzeitregelung nachgehen zu dürfen. Donnerstags und freitags Krankenschwester, 15 Stunden in der Woche, die restliche Zeit Politik in der Landesgeschäftsstelle der Grünen in Magdeburg oder vom heimischen Schreibtisch in Quedlinburg aus.
„Das sind schon zwei völlig verschiedene Arbeitsbereiche“, gibt sie zu. Auch sei es nicht ganz einfach, alles immer geistig voneinander zu trennen. „Krankenschwester oder Politikerin – der jeweils andere Bereich kommt mir dabei immer als der wichtigere vor.“ Stehe sie bei einer Patientin am Bett, so stelle sie sich vor, in diesem Moment als Landesvorsitzende mehr bewegen zu können, und sitze sie am heimischen Schreibtisch, so denke sie an einen ihrer Patienten, für den sie in diesem Moment da sein könnte. Dennoch falle ihr leicht, sich auf den jeweils anstehenden Moment zu fokussieren. „An einem Tag versorge ich die demente ältere Dame, am anderen spreche ich mit dem Ministerpräsidenten, das ist teilweise schon sehr skurril, aber mir macht beides einfach Spaß.“
Mann hat prägende Rolle
Eine große Rolle beim Gelingen dieses Spagats spielt die Familie von Susan Sziborra-Seidlitz. „Mein Mann arbeitet weniger als ich, nimmt Familienangelegenheiten wahr und hält mir so den Rücken frei – ohne ihn ginge das alles gar nicht.“ Überhaupt spiele ihr Mann eine prägende Rolle in ihrem Leben: „Als gebürtige Berlinerin konnte ich mir früher nie vorstellen, von dort jemals wegzuziehen. Dann habe ich meinen Mann kennengelernt, und der Liebe wegen bin ich 2008 schließlich nach Quedlinburg gezogen.“
Positive Energie spende auch ihr Mutter-Dasein. Drei Kinder hat das 1,63 Meter große Energiebündel, die älteste Tochter ist 19 Jahre alt, der Sohn 13 und die Jüngste dreieinhalb. „Die Tatsache, dass ich Kinder habe, erinnert mich immer wieder daran, auch ein Privatleben zu haben.“ Ohne Kinder verliere man das ab und an aus dem Fokus, „mit Kindern dagegen ist man einfach nur Mutti, und das erdet“.
In jungen Jahren geprägt
Ihre Leidenschaft für die Politik wurde schon in jungen Jahren geprägt. „Ich komme aus einer politisch aktiven Familie. Zeitungsartikel wurden ausgewertet, Radiobeiträge diskutiert.“ Außerdem sei sie eher extrovertiert orientiert. „Ich habe immer was zu sagen, da ist der Weg in die Politik nicht weit“, sagt sie und muss dabei selbst lachen. „Ich wurde so erzogen, dass alles, was man tut – egal, was es ist –, eine Rolle spielt für die Welt.“
So war sie kurz nach ihrem 18. Geburtstag eine Wahlperiode lang als Stadtverordnete der offenen Liste der PDS in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Köpenick eingebunden. Bis zu ihrem Umzug nach Quedlinburg sei sie in der Folge politisch inaktiv gewesen, dann sei das innere Feuer, sich politisch zu betätigen, wieder entfacht worden. „Nach meiner Zeit im Berliner Kommunalparlament habe ich hier einfach den Eindruck gewonnen, in der Kommunalpolitik etwas bewegen zu können.“
Dass sie auf diesem Weg ausgerechnet bei den Grünen gelandet ist, müsse sie ihrer Familie teils auch heute noch immer wieder erklären. „Ich bin das grüne Schaf der Familie. Alle anderen sind bei den Linken“, kann sie sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Selbst immer eher links sei sie gewesen, auch heute noch, einen übergeordneten Stellenwert habe für sie aber der Blick auf das große Ganze. „Man erlebt, wie die Welt unter unserem Hintern wegbröckelt, dass Umwelt- und Klimaschutz die Ursachen für soziale Probleme sind. Für diese Sichtweise stehen die Grünen einfach am besten.“ Inzwischen hätten auch ihre Eltern und Großeltern verstanden, dass man als Grüne ebenfalls links-orientiert sein könne. „Seitdem ist alles gut und akzeptiert.“
Einzug knapp verpasst
Und wie sehen ihre politischen Pläne für die Zukunft aus? „Im Moment bin ich gerne Landesvorsitzende, da möchte ich etwas bewegen.“ Bei den diesjährigen Landtagswahlen ist Sziborra-Seidlitz bereits knapp an einem Einzug in den Landtag vorbeigeschrammt. „Da habe ich den ersten Platz belegt, aber derer, die nicht mehr in den Landtag einziehen. Was bei der nächsten Wahl passiert – mal abwarten“.
Bei all dem Stress auf der politischen Bühne – auch der Krankenhausalltag hält die 38-Jährige, die auf einer Station für Innere Medizin arbeitet, auf Trab. „Ich habe in meinem Arbeitsumfeld weniger mit der Medizin an sich zu tun als eher mit dem Pflegebereich.“ Es gehe um die Betreuung von Diabetikern und hauptsächlich älteren und liegenden Patienten.
Oft sei sie mit dem Thema „Tod“ konfrontiert, daher sei eine ihrer Aufgaben, sich Zeit für die Sterbenden und deren Angehörige zu nehmen. „Trotz allem stumpfe ich mit der Zeit nicht ab. Die einzelnen Schicksale machen mir keine Angst, bewegen mich aber nach wie vor wie am ersten Tag.“ Alles in allem sei sie „eher der autistische Typ“. Ab und an rede sie mit ihrem Ehemann über Geschehnisse in der Klinik, „viele Dinge mache ich aber mit mir selber aus“. Generell versuche sie, möglichst wenig Beruf mit nach Hause zu nehmen.
Bleibt bei diesem Pensum noch Zeit zum Ablenken und Entspannen? „Ich lese sehr gerne, gehe täglich in die Badewanne, und Urlaube gehen fast immer nach Mecklenburg-Vorpommern – dann sind die Reisen nicht so stressig.“ Auch habe sie ein Faible für das Nähen – „obwohl mein Mann immer sagt, dass ich das eigentlich gar nicht kann. Nur für Kindersachen lange mein Talent gerade noch so“.
Für eine Sache jedoch würde sie fast alles stehen und liegen lassen: das Kneipenquiz in der Reichenstraße. „Das ist mir wichtig, da bin ich fast verbissen und habe schon viele Siege davongetragen. Danach würde ich sogar meine Termine ausrichten“, sagt Sziborra-Seidlitz und muss lauthals lachen. (mz)
