Nordharzer Städtebundtheater Nordharzer Städtebundtheater : In der Fremde zu Hause

Quedlinburg - Irgendwann im Sommer schließt Stefan Dick in Berlin mit einer Freundin eine Wette ab: „2017 haben wir ein Festengagement.“ Einen Tag später klingelt sein Telefon, und der Quedlinburger Schauspielkoordinator fragt, ob er nicht vorsprechen möchte. Eigentlich hatte sich der Schauspieler mit Schweizer Wurzeln für eine Gastrolle beworben und war gerade auf dem Absprung nach Bozen, wo er am Freien Theater gastieren wollte. So fuhr er dann nicht nach Italien, sondern sprach in Quedlinburg vor und wurde engagiert.
Freude über Landsmann
„Wen traf ich da? Curdin Caviezel, einen Bündner, im gleichen Kanton geboren und aufgewachsen, nur anders sozialisiert.“ Dicks Eltern führten ein Hotel, so dass der Sohn oft mit Menschen anderer Nationalität in Berührung kam, ob als Gäste oder als Personal. „Vielleicht führte das dazu, dass ich mich in der Fremde zu Hause fühle, auch wenn Deutschland eigentlich zum gleichen Kulturkreis gehört.“ Als Schauspieler muss man auftreten, wo es Arbeit gibt. „Unser Werkzeug als Künstler ist die Sprache, so sind wir auf den deutschen Sprachraum angewiesen.“
Natürlich spüre er zuweilen Sehnsucht nach dem Mutterland. Er unterscheidet zwischen Vater- und Mutterland, schließlich sei seine Mutter Schweizerin, sein Vater Deutscher. Sie wollten, wie besorgte Eltern sind, dass Sohn Stefan „einen anständigen Beruf“ erlernt, Bäcker oder Fotograf zum Beispiel. „Schickt ihn aufs Lehrerseminar“, riet ein Pädagoge den Dicks.
Fünf Jahre stand der Sohn später vor der Klasse, immer unsicher, ob das der rechte Beruf sei. Er organisierte Klassenaufführungen, schaute an Schauspielschulen vorbei, zauderte und tat es dann doch. „Ich habe mir wohl immer selbst im Weg gestanden.“
Seine Lehrjahre verbrachte der heute 47-Jährige in Wien am Konservatorium. Er begab sich auf einen langen Weg, hat es aber trotz Krisen nie bereut. Aus Wien kam er ins beschauliche Dinkelsbühl, malerisch und vielleicht noch eine spur kleinstädtischer als Quedlinburg. Er ging mit dem Westdeutschen Tourneetheater auf Abstecher, spielte an der Komödie Kassel, stand bei Aufführungen in Berlin auf der Bühne.
Keine großen Erwartungen
„Eigentlich geht es nicht darum, wie groß ein Ort ist, sondern wie es mit den Menschen ist.“ So lernte Stefan Dick, mit allem zu rechnen, guten wie schlechten Dingen. Er geht ohne große Erwartungen auf das Neue zu. „In Quedlinburg fühlte ich mich sofort angenommen. Es ist eine ganz spannende Arbeit.“ In seinem Alter bringt er Welt-Erfahrungen mit, nicht nur, weil er auf Kreuzfahrtschiffen gespielt und dort Menschen aus aller Herren Länder getroffen hat.
Mit freundlichem Wesen und mit vielen Lebensgeschichten; Künstler wie er, Kellner, Matrosen, von den Philippinen oder aus Mittelamerika. „Wir könnten alle in Vielfalt verbunden sein, aber setzen auf Ausgrenzung. Der Mensch darf durch die äußeren Bedingungen nicht gezwungen werden, aggressiv zu sein“, bemerkt er nachdenklich. „Viele Menschen ticken anders, als sie sein könnten. Ich verstehe nicht, warum ein Mensch des anderen Wolf sein muss. Am Lebensbaum ist doch auch kein Blatt auf das andere neidisch“, philosophiert er. „Wenn ein Kind geboren wird, ist es doch auf seine Mutter angewiesen. Es ist doch toll, solch Unterstützung im weiteren Leben zu erfahren“.
Der erfahrene Schauspieler philosophiert gern über solche Dinge, ohne die Welt mit der rosa Brille zu betrachten. Er weiß, das Leben könnte anders laufen. „Aber ob es dann noch Shakespeare bräuchte“, sinniert er mit Blick auf seine aktuelle Rolle in „Romeo und Julia“.
Für ihn und Regisseur Gregor Turecek handelt das Stück von „der Verunmöglichung der Liebe des Lebens“. Für den Mimen eine große Herausforderung, spielt er doch gleichzeitig Lady Capulet und Sir Capulet. Dieses Mächtepaar als eine Person zu spielen, hält er für eine „spannende und schwierige Aufgabe“. Solche Doppelrollen seien bei Shakespeare nichts Ungewöhnliches: „Ich habe ‚Romeo und Julia‘ auch schon mit fünf Darstellern erlebt.“
Dass er im ersten Stück der Spielzeit seine erste Premiere mit so einem „klugen Einstandsregisseur wie Turecek“ erleben darf, hält Dick für einen Glücksfall. „Es tut gut, auf Augenhöhe zu arbeiten und gemeinsame Bühnenlösungen zu suchen.“
Gerne mal Molière spielen
Der Schauspieler schaut schon etwas voraus. In „Patricks Trick“ spielt er mit, im Sommermärchen und beim Historien-Spektakel rund um König Heinrich. Gern würde er mal in einem Molière-Stück spielen. „Der eingebildete Kranke ist mir wie auf den Leib geschrieben. Ich finde, Leute, die sich aufregen, sind so schön komisch.“
Die Rolle des Richters Adam aus dem „Zerbrochenen Krug“ wird er wohl nicht so schnell spielen. Doch er hält ihn ebenso für eine Herausforderung, wie in „Endspiel“ von Samuel Beckett blind auf der Bühne zu stehen.
„Egal, was ich in der Zukunft spielen werde, ich empfinde es als großes Geschenk, vom Schauspielen leben zu können.“ (mz)