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Kreisbibliothek in Quedlinburg Neuer Chef führt eine „Bücherquarantäne“ ein

Ein junger Mann, 1997 in Russland geboren, leitet nun die Bibliothek in Quedlinburg. Wie sein Arbeitsalltag in Corona-Zeiten aussieht.

23.04.2021, 08:00
Grigorij Getahun leitet seit Anfang des Jahres die Kreisbibliothek in Quedlinburg.
Grigorij Getahun leitet seit Anfang des Jahres die Kreisbibliothek in Quedlinburg. Foto: Susanne Thon

Quedlinburg - In den Gängen zwischen hohen Bücherregalen hat er sich schon immer wohlgefühlt. In der Schulbibliothek habe er damals mitgearbeitet, erzählt Grigorij Getahun. Das gab wahrscheinlich den ersten Anstoß für seine spätere Berufswahl. Der nächste folgte nach der Grundausbildung bei der Bundeswehr: Auch „da bin ich in einer Bibliothek gelandet“, über und über voll mit Fachliteratur.

Es kam, wie es kommen musste: Getahun, der in Russland geboren wurde und 1997 nach Deutschland kam, ließ sich zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste der Fachrichtung Bibliothek ausbilden. Seine Ausbildung machte er in Bonn; dann ging er nach Hamburg, studierte an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Und jetzt ist er im Harz: Er leitet die Kreisbibliothek im Bildungshaus „Carl Ritter“ in Quedlinburg.

Seit Sommer vergangenen Jahres war die Bibliothek ohne Leiter. Getahuns Vorgänger, der die Stelle im Frühjahr 2019 angetreten hatte, schied Ende September aus, stand aber bereits im Juli nicht mehr als Ansprechpartner zur Verfügung.

Vor dem zweiten Lockdown unterschrieb Grigorij Getahun seinen Arbeitsvertrag

„Wir haben lange, lange gesucht, viele Bewerbungen bekommen“, den meisten habe die Erfahrung im Bereich Bibliothek gefehlt, sagt Herma Alpermann, die Leiterin der Kreisvolkshochschule (KVHS), zu der die Kreisbibliothek gehört. Auch Getahun hat eine ganze Weile gesucht: „Als das mit Corona losging, habe ich angefangen mich zu bewerben.“ Das sei, gerade zu der Zeit, nicht einfach gewesen; nicht wenige hätten die Personalsuche erst mal hintenan gestellt, erklärt er.

Kurz vor dem zweiten Lockdown unterschrieb er seinen Arbeitsvertrag im Harz. Dann ging es Schlag auf Schlag. Und plötzlich waren auch die Bibliotheken wieder zu. Unter den gegebenen Umständen anzukommen, sei eine Herausforderung, sagt der neue Bibliothekschef. Kurz- und Schichtarbeit prägen den Arbeitsalltag in Corona-Zeiten.

Und natürlich auch die Zugangsbeschränkung seit der Wiedereröffnung im März. Aber immerhin: „Wir können für die Kunden da sein“, sagt Getahun. Der Besuch ist nur mit Terminvereinbarung möglich. 91 Termine können in den 13 Stunden pro Woche, in denen die Ausleihe geöffnet hat, vergeben werden. In puncto Auslastung gibt es allerdings noch Luft nach oben:

Nach Angaben von KVHS-Sprecherin Stefanie Dabrowski sind im Schnitt 60 Prozent der Termine belegt. Zudem wurden pandemiebedingt die Ausleihfristen verlängert; sie betragen jetzt für alle Medien gleichermaßen vier Wochen.

Und was zurückgegeben wird, geht auch nicht sofort wieder in den Verleih: Die Bücher werden erst mal in Kisten gesammelt, dort bleiben sie ein paar Tage, eh sie die Mitarbeiter wieder in die Regale einsortieren. „Bücherquarantäne“ sozusagen. „Sicher ist sicher“, sagt Getahun.

Die wohl größte Aufgabe, vor der er jetzt steht, ist es, den Austausch mit den anderen Bibliotheken im Landkreis wieder in Schwung zu bringen. Mit 22 anderen Einrichtungen arbeitet die Kreisbibliothek zusammen. Mit zwölf, so Dabrowski, gebe es auch Verträge, weil sie am Kreisleihverkehr teilnähmen.

Rund 48.000 Bücher, Hörbücher, CDs, DVDs, Blu-rays, Zeitschriften und Karten sind im Bestand

Heißt: Mit ihnen tauscht die Bibliothek in Quedlinburg Medien aus. Zurzeit jedoch weniger intensiv. Acht beteiligten sich gegenwärtig am Austausch, sagt sie. Im Austausch befindet sich Getahun auch mit dem mit Freundeskreis Bibliothek. Geplant sei, einen Ausleihdienst für Pflegeeinrichtungen zu etablieren, kündigt er an.

Stoff, der geliehen werden kann, den gibt es genug: Der Bestand der Kreisbibliothek setzt sich aus Tausenden Büchern, Hörbüchern, CDs, DVDs, Blu-rays, Zeitschriften und Karten zusammen. Ende 2019 gab es eine große Inventur, für die die Einrichtung sogar einen Monat lang geschlossen blieb.

Unterm Strich stand eine gewaltige Zahl: 48.000. Sie ist relativ konstant. So gibt es zwar regelmäßig Neuanschaffungen – hauptsächlich Bestseller und preisgekrönte Bücher –, aber auch aussortiert muss immer mal wieder werden. „Denn Medien verschleißen auch.“

10.000 Euro stehen der Kreisbibliothek jedes Jahr für Neuanschaffungen zur Verfügung. In den vergangenen Jahren konnte das Budget durch eine Förderung des Landes immer verdoppelt werden. Und weil es, um einen Förderantrag zu stellen, einen Eigenanteil von mindestens 5.000 Euro braucht und die nicht jeder Bibliothek zur Verfügung stehen, wird auch in dem Punkt gemeinsame Sache mit den anderen, kleineren Bibliotheken gemacht.

„Es gibt unglaublich viele Zielgruppen, denen man gerecht werden muss.“

Herma Alpermann, KVHS Harz

Im vergangenen Jahr beantragte die Kreisbibliothek die Förderung zusammen mit den Bibliotheken in Ballenstedt, Blankenburg, Osterwieck und Thale. 15.900 Euro schoss das Land damals zu. Eine stattliche Summe. Doch „das Geld ist schnell weg“, sagt Alpermann und erklärt: Angeschafft würden hauptsächlich Hardcover, die verschlissen nicht so schnell, seien aber teurer. „Und es gibt unglaublich viele Zielgruppen, denen man gerecht werden muss.“

Neben den Titeln aus den Bestsellerlisten stünden auch Bücher zu Themen wie Kochen und Reisen hoch im Kurs, Kinderliteratur, Hörbücher und auch Zeitschriften, sagt Getahun, der selbst gute Hörbücher schätzt; auch auf Englisch hört er sie gern. Und auch Comichefte mag er, liest sie am liebsten digital, „weil da die Farbkontraste richtig zur Geltung kommen“. (mz/tho)