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Marschflugkörper bis 1968 in Quarmbeck stationiert

Von Uwe Kraus 09.11.2007, 18:52

Quarmbeck/MZ. - Herausgeber Lutz Freundt und dem Autoren Stefan Büttner ist dieses mit 575 Bildern, darunter 110 großformatige Luftaufnahmen, illustrierte Buch zu verdanken. Fast lexikalisch finden sich auf 300 Seiten eine unglaubliche Menge an Informationen über alle 235 russischen Flugplätze in der früheren DDR, ihre Vorgeschichte, die dort stationierten Truppenteile und die derzeitige Nutzung. Das geht bis zu vorbereiteten Feldflugplätzen und ehemaligen deutschen Plätzen im heutigen Westpolen; hauptsächlich aber die Plätze auf dem Gebiet der DDR.

Es sei keine Lektüre für ängstliche Zeitgenossen, heißt es im Vorwort, "wohl aber eine detaillierte Beschreibung dessen, was der Welt an verschwenderischen Rüstungsausgaben wiederholt bevorstehen könnte." Doch hebt es sich wohltuend von Telespektakel rund um die deutsche Geschichte ab. Als besonders interessant entpuppen sich dabei auch einige Details zur 1927 begonnenen Quarmbecker Flugplatzgeschichte.

Im Sommer 1960 sind rund 100 deutsche Familien nördlich des Kohlweges nach Quedlinburg und Thale ausquartiert worden. Als Sichtschutz errichtete man eine zwei Meter hohe Bretterwand an der Ost- und Westseite. Danach wurden auf dem ehemaligen Fliegerhorst Quarmbeck unter hohen Sicherheitsvorkehrungen "Marschflugkörper" im Kasernenbereich stationiert. Im Militärjargon waren das "Frontflügelraketen", die auf den ersten Blick einem Jagdflugzeug ähnlich sahen, allerdings fehlte die Pilotenkabine, stattdessen verbarg sich im Rumpf ein 1 000 Kilogramm schwerer Atom-Sprengsatz.

"Betrachtet man die technischen Daten, wird schnell klar, dass es sich schon aufgrund der begrenzten Reichweite von etwa 120 Kilometer um eine allwetterfähige Defensivwaffe handelte. Westliche Nachrichtendienste bekundeten über Jahre hinweg großes Interesse an den Geräten und bezeichneten die geheimnisumwitterte Fliegertruppe in Quarmbeck als "Aerodynamische Flugkörper-Einheit. So offenbaren es nachrichtendienstliche Aufzeichnungen zum Standort Quarmbeck, die wir eingesehen haben", schildert Stefan Büttner. Immer wieder vermischten sich nach Angaben der Autoren interessante Details mit Legenden von unterirdischen Raketensilos und verborgenen Panzerfahrstraßen in der Region.

Sicher ist dagegen, dass hier ab 1962 das Luftverteidigungssystem "Dwina / Wolchow" stationiert war, das damals als das modernste galt. In engem Zusammenhang mit der Stationierung von "Marschflugkörpern" stehen wahrscheinlich auch Beobachtungen von unterirdischen Bauarbeiten am Südhang des Liebfrauenberges. Es sollen vier Höhlen großen Ausmaßes in den Berg gesprengt worden sein. "Was sich hier in Sichtweite der Ziegelei warum abspielte, wird wohl ein immer währendes Geheimnis der Russen bleiben", meint Herausgeber Lutz Freundt gegenüber der MZ. Bisher war nur recherchierbar, dass es sich um Arbeiter vom "VEB Sprengabteilung Mitte" aus Magdeburg handelte, die diese Arbeiten zusammen mit einigen Sowjetsoldaten durchführten. Immer wieder landeten Hubschrauber auf Verbindungsflügen im Kasernenbereich. Selbst kleinere Propellerflugzeuge waren in jener Zeit noch einmal auf dem Flugfeld zu sehen. Später befand sich hier ein fester Hubschrauberlandepunkt für Post- und Kurierflüge der Garnison Quedlinburg.

Nach dem Abzug der Marschflugkörper 1968 verschwand vieles auch unter Neubauten. In Quarmbeck befanden sich nunmehr ein Panzerregiment, ein Aufklärungsbataillon und Einheiten der Truppenluftabwehr mit dem Raketenkomplex 2K11 und Buk. Die Wirkung der Radarantennen der Aufklär- und Leitstationen spürten aufmerksamen Anwohnern durch kurze Bildstörungen beim Fernsehempfang. Beide Autoren stimmen darin überein: "Die Systeme wurden natürlich immer nur ganz kurz bei Alarm aktiviert, um dem Gegner möglichst wenig Zeit zu geben, die Frequenzen auszumessen."

"Rote Plätze" ist das einzige alles umfassende Buch zu den sowjetischen Militärflugplätze in Deutschland. Technisch wie militärpolitisch spannend, aber mit einem Makel behaftet: Die Schrift ist zu klein!