Dabei sind sie kein Nischenprodukt Markus Lohmann aus Reinstedt züchtet vergessene Sorten Obst
Reinstedt - 1855 wurde der besonders für raues Klima geeignete „Halberstädter Jungfernapfel“ entdeckt. Über viele Jahrzehnte waren solche Apfelbäume, deren Früchte saftig-aromatisch sind, in der Region zu finden. Heute steht der „Halberstädter Jungfernapfel“ wie viele andere alte Obstsorten auf der Roten Liste der gefährdeten einheimischen Nutzpflanzen.
Markus Lohmann: „Wir sind in der Pflicht, Bäume zu erhalten“
„Bäume wie diese haben unsere Kulturlandschaft belebt. Da sind wir auch in der Pflicht, sie zu erhalten“, sagt Markus Lohmann, Produktionsleiter bei der Mitteldeutschen Baumschulen GmbH in Reinstedt.
Das Unternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, neue Bäume solcher alten Sorten zu produzieren. Dabei sind der „Halberstädter Jungfernapfel“ und der 1170 erstmals erwähnte „Edelborsdorfer“ - die älteste Apfelsorte Deutschlands, wahrscheinlich Europas - zwei von mehr als 50 alten Apfelbaumsorten, die in der Baumschule wieder vermehrt werden. Hinzu kommen Birnbäume in mehr als 25 Sorten, darunter die „Römische Schmalzbirne“, bei der es sich um jene wunderbare „Beern“ des Herrn Ribbeck im Havelland handeln soll, sowie einige Pflaumen- und Kirschbäume.
Zu letzteren zählt beispielsweise „Teickners Schwarze Herzkirsche“, die zwar nicht auf der Roten Liste steht, aber nur noch selten zu finden ist. Sie war 1921 als Zufallssämling in der Baumschule Teickner in Gernrode selektiert worden, weiß Markus Lohmann.
Warum solche Bäume so selten geworden sind? Im Handel würden heute bestimmte Anforderungen an Früchte gestellt, sagt Markus Lohmann. „Aber alte Apfelsorten sind nicht wie gemalt, und ,Teickners Schwarze Herzkirsche‘ gehört nicht zu den Süßkirschen, die sich besonders früh oder besonders spät auf den Markt bringen lassen. Da fallen solche Sorten heraus“, so der Produktionsleiter.
„Wir haben uns gefährdete Sorten herausgesucht mit dem Ziel, diese wieder zu vermehren“, sagt Lohmann und verweist dabei auch auf eine Tradition: Bereits in den 1950er Jahren hatte Gärtnermeister Werner Traunsberger ein Baumschulunternehmen in Hoym und produzierte hier auch Obstbäume; seit 2004 betreibt Sohn Jens Traunsberger die Baumschule in Reinstedt.
Das Vermehren der alten Sorten erfolgt durch Veredlung. „Man nimmt einen Sämling einer anderen Sorte und kappt diesen. Dann wird ein Trieb von der Sorte, die man haben möchte, aufgesetzt.“ Im Januar/Februar als sogenannte Winterhandveredlung durchgeführt, wird aus dem Sämling binnen eines Jahres schon ein richtiges Bäumchen.
Mitteldeutsche Baumschulen GmbH Reinstedt produziert rund 5.000 Apfelbäume alter Sorten
Voraussetzung, um neue Bäume alter Sorten produzieren zu können, ist damit ein alter Baum. „Manchmal bekommen wir angetragen, dass jemand einen besonderen Baum hat. In den meisten Fällen bekommen wir die Triebe aus Reiser-Muttergärten“, sagt der Produktionsleiter. In ganz Deutschland gibt es nur noch drei solcher Gärten, in denen alte Sorten bewahrt und auch auf Viruserkrankungen getestet werden.
Inzwischen produziert die Mitteldeutsche Baumschulen GmbH Reinstedt rund 5.000 Apfelbäume alter Sorten pro Jahr, hinzu kommen rund 2.000 Birnbäume rund 2.000 Kirschbäume und einige Pflaumenbäume. „Solche Sorten sind für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zunehmend interessanter, weil sie mit wenig Pflege auskommen“, sagt Markus Lohmann.
Doch Obstbäume alter Sorten seien nicht nur ein Nischenprodukt. „Sie sind für viele Kleingärtner, für Liebhaber und für Menschen interessant, die mit allergischen Reaktionen auf die neuen Sorten zu tun haben“, so der Produktionsleiter. Und inzwischen würden auch alte Streuobstanlagen wieder gepflegt oder sogar neue angelegt.
„So gab es zum Beispiel in Thüringen im vergangenen Jahr ein Förderprogramm, wo auch Privatpersonen bis zu 100 Bäume bestellt haben.“ Auch Markus Lohmann selbst schwärmt von den alten Sorten. „Die Vielfalt ist sehr interessant“, sagt er.
Und vom Geschmack her seien Sorten wie die Goldparmäne oder der Rote Boskoop - „Dauerbrenner“ in den Kleingärten, die ebenfalls in Reinstedt wieder vermehrt werden - einfach super.
So wie der saftig-aromatische, leicht zimtartig schmeckende „Edelborsdorfer“. „Er muss ja geschmacklich was hermachen. Sonst hätten die Menschen ihn nicht immer wieder vermehrt - vom 12. Jahrhundert bis in die heutige Zeit“, meint Markus Lohmann. (mz)