In Quedlinburg nur kurze Besuche
Quedlinburg/MZ. - Bekannt geworden ist sie jedoch vor allem durch ihre angebliche Affäre mit Friedrich Freiherrn von der Trenck. Anna Amalia, genannt Amélie, kam am 9. November 1723 als sechste und letzte Tochter des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. von Preußen und seiner Gemahlin Sophie Dorothea von Hannover zur Welt. Ihre Geburt erwies sich als spektakulär, denn die korpulente Königin, so erinnerte sich Amélies Schwester Wilhelmine von Bayreuth in ihren Memoiren, wusste nichts von ihrer Schwangerschaft. Mangels ärztlicher Unterstützung musste schließlich der königliche Vater höchstpersönlich bei der Entbindung assistieren.
Affäre mit Trenck?
Die "dicke Lily", wie sie von ihrer Familie aufgrund ihrer Vorliebe für gutes Essen boshaft genannt wurde, sollte sich zu einem wahren Trotzkopf entwickeln. Von einer Heirat wollte sie nichts wissen. So gab sie 1744 nicht nur dem schwedischen Thronfolger Adolf Friedrich von Holstein-Gottorp einen Korb, sondern auch dem späteren Zar Peter III. Zwei Jahre später wurde auch der Antrag von König Ludwig XV. von Frankreich für seinen Sohn und Erben Dauphin Ludwig abgelehnt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Amélie nämlich schon längst ihr Herz verschenkt, wenn wir den Memoiren von Friedrich Freiherr von der Trenck glauben wollen.
Aber ob tatsächlich eine Liebesbeziehung zwischen Amélie und Trenck bestand, kann weder absolut bejaht noch verneint werden. In seinen Memoiren spricht Trenck nur von einer "großen Dame". Die Glaubwürdigkeit seiner Erinnerungen stellt er zudem mit ungenauen Zeitangaben in Frage. Dass Amélie und Trenck einander kannten, belegt jedoch ihre Patenschaft, die sie im März 1771 für seine zweite Tochter Karoline Amalie übernahm. Die im calvinistischen Glauben erzogene Amélie wurde schließlich am 16. Mai 1744 zur Koadjutorin des lutherischen reichsunmittelbaren Damenstiftes Quedlinburg gewählt.
Als am 17. Juli 1755 die Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorp starb, trat Amélie die Nachfolge an. Sie war die 38. und vorletzte Äbtissin. Am 11. April 1756 wurde sie in der Stiftskirche St. Servatius inthronisiert. Doch lange hielt sie es nicht in Quedlinburg aus, bereits am 20. April reiste sie wieder ab. Sie war die erste Äbtissin, die nicht im Stift residierte, und wurde auch nur noch zweimal, nämlich 1765 und 1785 jeweils im September, in Quedlinburg gesehen. So scheint sie nicht aus Überzeugung Äbtissin geworden zu sein, sondern aus Interesse am Titel, der ihre Stellung am preußischen Hof stärkte, und der damit verbundenen Einkünfte. Die hatte sie auch bitter nötig, denn aufgrund ihrer Vorliebe für das Glücksspiel, hatte sie erhebliche Schulden.
Stolz und lebhaft
Amélie wurde von ihren Zeitgenossen als schön, klug, liebenswürdig, stolz und lebhaft, aber auch als launisch, exzentrisch und wunderlich beschrieben, wodurch sie ihre unmittelbare Umgebung arg strapazierte. Aber ihre "tolldreisten Ideen", wie die Oberhofmeisterin Sophie Gräfin von Voss es in ihren Aufzeichnungen formulierte, amüsierte die Gesellschaft. Als der preußische Hof während des Siebenjähriges Krieges (1756-1763) einige Monate in Magdeburg Zuflucht suchte, sorgte Amélie dafür, dass es in der Garnisonsstadt nie langweilig wurde. Am 15. März 1761 spielte "ein Mönch, welcher als Geisel hierher geschickt worden war, sehr schön Violine". Wenige Wochen darauf gab die Äbtissin einen Maskenball, bei dem die Damen als Herren und die Herren als Damen zu erscheinen hatten, sie selbst trug "den Anzug eines Geistlichen!" notierte Gräfin Voss in ihr Tagebuch. Amélie liebte die deutsche Literatur, sie beschäftigte sich mit den Naturwissenschaften und war eine Anhängerin des Okkultismus. Außerdem versuchte sie sich als Laienschauspielerin.
Ihre große Leidenschaft gehörte aber der Musik. Amélie erhielt erst nach dem Tode des Vaters Musikunterricht, obgleich sie schon als Kind auf dem Spinett oder der Laute übte. Vermutlich wurde das Interesse durch ihren Bruder Friedrich II. geweckt, der als einziger der Kinder eine Musikerziehung genoss. Amélie spielte Flöte, Klavier, Violine und sogar Orgel. 1755 ließ sie sich eine Hausorgel (bekannt als Amalienorgel) in ihre Räumlichkeiten im Lustgartenflügel des Berliner Schlosses einbauen; später fand die Orgel in ihrem Palais Unter den Linden 7 einen neuen Platz.
Selbst komponiert
1776 veranlasste sie den Einbau einer weiteren Hausorgel in ihrem Berliner Palais in der Wilhelmstraße 102. Ab 1758 nahm Amélie Unterricht bei Johann Philipp Kirnberger, einem Schüler Johann Sebastian Bachs. Kirnberger, ein Verfechter der "alten Lehre", machte sie mit der Kontrapunkttechnik bekannt. Sie komponierte Marschmusik, Choräle und weltliche Lieder, doch ihre Musikanschauung war rückwärtsgewandt, und sie übte harsche Kritiken an vielen Musikern ihrer Zeit. Ihre umfangreiche Musikaliensammlung, die so genannte Amalienbibliothek, die unter anderem Werke von Bach enthält, befindet sich heute, wie auch ihre eigenen Werke, in der Deutschen Staatsbibliothek Berlin.
Mit zunehmenden Alter litt Amélie an verschiedenen körperlichen Gebrechen, teilweise hervorgerufen durch einen 1773 erlittenen leichten Schlaganfall. Für ihre Augenprobleme zeichnete sie laut dem französischen Chronisten Dieudonné Thiébault selbst verantwortlich. Der Arzt verschrieb ihr eine Flüssigkeit, deren Dämpfe sie in das entzündete Auge steigen lassen sollte. Doch Amélie rieb sich die Medizin in die Augen, so dass sie fast erblindete. Bis zu ihrem Tod am 30. März 1787 lebte die skurrile Äbtissin, abgesehen von einigen Soupers und Konzerten im kleinen Kreis sowie Besuchen ihrer Verwandten, zurückgezogen in Berlin